Geballte Wut aus Kindermund
Kinder probieren in der Trotzphase Fäkalsprache aus, Pubertierende provozieren mit Schimpfwörtern. Klare Konsequenzen sind jetzt wichtig.
Als Kindergartenkind konnte Paul die Aufforderung zum Zähneputzen auf die Palme bringen. In der Grundschulzeit ging er regelmäßig beim Hausaufgabenmachen in die Luft und warf schimpfend mit Spielzeugtreckern um sich. Mittlerweile machen ihn Einschränkungen beim Smartphone- und Computergebrauch mitunter so wütend, dass der 13-Jährige laut flucht, aus dem Zimmer stürmt und mit den Türen knallt. Leidtragende ist meist seine Mutter. Dass der Sohn ihre Regeln und Verbote kaum akzeptieren kann, findet sie ebenso „anstrengend“ wie „schwer auszuhalten“. Gerät Paul in Rage, weiß sie sich oft nicht anders zu helfen, als ihn aus dem Raum zu schicken und auf Distanz bocken und wieder zu sich kommen zu lassen. Darüber, professionelle Beratung mit ins Boot zu holen, hat sie bereits nachgedacht. Die richtige Anlaufstelle konnte sie aber noch nicht finden.
Schimpfwörter als Ventil
Aggression ist ein elementarer Teil der menschlichen Emotionen. Ohne sie wären wir nicht fähig, „unsere Träume zu verwirklichen. Wir könnten nicht Fußball oder Tennis spielen“, macht der dänische Familientherapeut Jesper Juul klar. „Aggression auszumerzen würde heißen, unsere Lebensqualität zu reduzieren sowie die unserer Beziehungen und der individuellen wie kollektiven Leistungen.“ Ausschlaggebend findet er es aber, destruktive Gefühle unter Kontrolle zu bekommen und sie von konstruktiven zu unterscheiden. Genauso verhält es sich mit dem Gebrauch von Schimpfwörtern. Keine Sprache kommt ohne sie aus. Denn wie ein Ventil können Kraftausdrücke Ärger und Frust abbauen; je nach Kulturkreis betreffen sie Tabubereiche – in Deutschland vorrangig Fäkalien, in den USA Sexualität, in Südeuropa die Familienehre oder Religion. Wer allein verbal Dampf ablässt, kann seine Wut entschärfen. Attackiert er andere so, wirkt das respektlos und verletzend.
Beschimpfungen der üblen Sorte
Vor allem in zwei Phasen ihres Lebens gehen Kinder in Verhalten sowie Wortwahl an Grenzen und darüber hinaus: Im Trotzalter entdecken sie den eigenen Willen und wollen ihn unbedingt durchsetzen. Erst entwickelt sich „Nein!“ zur Lieblingsantwort. Ab dem Besuch einer Kita fallen dann Begriffe von „Scheißmama“ bis „Arschlochpapa“, weil sie in der Gruppe kursieren und nachgeplappert werden, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Später geht es in der Pubertät erneut mit Streiterei und Abgrenzung um Autonomie oder Provokation um jeden Preis; Eltern bekommen schlimmstenfalls Beschimpfungen wie „Schlampe“ oder „Wichser“ zu hören. Unter Gleichaltrigen gehören die zum Umgangston, gegenüber von Erwachsenen sind solche Exzesse aber ein No-Go – auch in Zeiten, in denen „Fack ju Göhte 3“ mit sechs Millionen Zuschauern erfolgreichster Film des Jahres 2017 wurde und angesagte Rap-Songs gespickt sind mit Schimpfwörtern der übelsten Sorte.
Beratung bei aggressiver Sprache
Wortgefechte gibt es unter den Schülern von Karin Kettenacker häufig, Rangeleien ebenfalls. Auch Extreme hat die Lehrerin schon erlebt. Zum Beispiel einen Drittklässler, der mit der Faust einen Feuermelder einschlug, andere zu Boden boxte oder mit Seilschaften mobbte. Für den Umgang mit schwierigen Situationen hat sie daher mit einer Kollegin ein System entwickelt: Wer gegen die Hausordnung verstößt, bekommt einen gelben Zettel. Bei drei folgt ein „aufbauendes Beratungsgespräch“ mit Hilfsangeboten, bei neun ein entwicklungspsychologischer Test und das wöchentliche Treffen mit Fachkräften und Kindern, die reihum von Problemen und positiven Erfahrungen berichten. „Dieses Verfahren ist aufwendig, aber effektiv“, so Karin Kettenacker. „Wir machen klar, dass wir Regeln haben und Schritte folgen, wenn sie nicht eingehalten werden. Ziel ist, durch Aufmerksamkeit und positive Verstärkung statt Strafen den Verhaltenskodex einzuüben.“
Tipps bei aggressiver Wortwahl
Klare Ansagen, Konsequenz, Kritik am Verhalten statt am Kind, konstruktives Miteinander und bei Bedarf professioneller Beistand – diese Kombination würde sie auch Familien empfehlen, um (verbale) Aggressionen auszubremsen. Wichtig fände sie außerdem mehr männliche Bezugspersonen und körperliche Aktivität. „Kinder müssen sich bewegen“, weiß die dreifache Mutter aus Erfahrung. „Mein ältester Sohn war sehr motorisch und brauchte das Handballspielen zum Abreagieren. Für meine Schüler gibt es nichts Schöneres, als vom Minitrampolin auf dicke Matten zu springen, sich in Mauern aus Schaumstoffwürfeln zu werfen und dabei kreischen zu dürfen. Danach sind sie ausgepowert und entspannt.“ Diese Wirkung kennt auch die Mutter von Paul. Zweimal pro Woche gehe er zum Fußballtraining, zusätzlich kicke er auf dem Bolzplatz unter Gebrüll mit Freunden. „Danach ist er zufriedener. Im Mannschaftssport muss Paul seinen Kopf nicht durchsetzen. Stänkern hat er da auch mal ausprobiert. Das kam bei den anderen aber gar nicht gut an.“
Lektüretipps
Bücher und Internetadressen für den adäquaten Umgang mit Verbalattacken und Aggressionen
Bücher
„Aggression. Warum sie für uns und unsere Kinder notwendig ist“
von Jesper Juul, S. Fischer, 12 Euro. Plädoyer für den konstruktiven und positiven Umgang mit einem wichtigen Gefühl, das nach Ansicht des dänischen Familientherapeuten bedauerlicherweise ein „neues Tabu“ geworden ist.
„Die elegante Art, Hitzköpfe und andere Streithammel zu beruhigen“
von Douglas E. Noll, Scorpio, 17,90 Euro. Anschauliche Beschreibung einer praxiserprobten Deeskalationsmethode, mit der sich Ärger in 90 Sekunden in Luft auflösen lässt. Ihre Basis sind emotionale Intelligenz und Zuhören.
„Liebevolle elterliche Führung“
von Mathias Voelchert, Beltz, 14,95 Euro. Statt zu erziehen, rät der Autor Eltern, einen Garten von Möglichkeiten anzulegen, in dem Kinder wachsen können. Hauptaufgabe sei dabei, wichtige Werte ehrlich und geradlinig vorzuleben.
Stand: Juni 2018
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