Schwarzes Schaf der Familie
Wer Sündenbock oder schwarzes Schaf der Familie ist, erleidet Benachteiligung und Schlimmeres. Offene Familien können aber auch profitieren.
Text: Barbara Lang
Prinz Harry, Uwe Ochsenknecht, Kurt Cobain, Kim Kardashians Bruder Rob oder „Desperate Housewive“-Darstellerin Eva Longoria – sie alle haben oder hatten in ihrem Leben dieselbe Rolle inne: das schwarze Schaf der Familie. Für Betroffene oft eine lebenslange Bürde.
Schwarzes Schaf der Familie – hartes Los
Das schwarze Schaf leidet unter all den weißen im Familiensystem: Fehlende Zuwendung, Benachteiligung, Ausgrenzung, übermäßige Belastung, Neid und/oder Vorwürfe von Eltern und Geschwistern beeinträchtigen ihr Selbstbild und Lebensgefühl. Auf Dauer leiden oft auch Gesundheit und andere Beziehungen der Außenseiter darunter. Ob schwarze Schafe tatsächlich aufgrund bestimmter Eigenschaften von Kind auf anders waren oder nur durch Zuschreibungen der Eltern und Geschwister zum Außenseiter wurden, ist oft schwer zu klären.
„Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein.“
Albert Einstein
Schwarzes Schaf als Redensart
Woher kommt eigentlich die Redensart vom schwarzen Schaf? Aus der Sicht eines Schäfers ist das schwarze ein Problemschaf: Denn weiße Wolle ist mehr gefragt und teurer zu verkaufen als dunkle Wolle, die sich nicht beliebig einfärben lässt. Manche Schäfer schlachten die schwarzen Schafe – andere halten gerne ein paar Außenseiter: weil sich die weißen Artgenossen so an die Farbe gewöhnen und sich von Wildschweinen nicht so ängstigen lassen.
„Die schwarzen Schafe der Familie sind oft die Nettesten.“
Volksmund
Diese Redensart sollten sich alle schwarzen Schafe einprägen. Denn dass sie aus der „Herde“ herausstechen und dies als so negativ betrachtet wird, liegt häufig am Familiensystem. Nicht selten pflegen die Eltern solcher Familien feste Verhaltensmuster und bestehen auf der Erfüllung fixer Rollenverteilung. Sehen sie diese von kreativen Querköpfen oder rebellischen Individualisten bedroht, setzen sie alles daran, den Schein der heilen Welt aufrechtzuerhalten. Im Zweifelsfall mithilfe eines Sündenbocks – nur in dieser Rolle passt er wieder ins Familiensystem.
Ausgrenzung bis hin zu Missbrauch
In manchen Familien dient das schwarze Schaf den Eltern auch, um eigene Fehler, Versagen oder Hilfsbedürftigkeit zu vertuschen. Vielleicht war das Kind ungeplant und unerwünscht, vielleicht wird es für das eigene verkorkste Leben verantwortlich gemacht, vielleicht findet man sich in der Elternrolle nicht zurecht oder vielleicht fehlt es an Geld. Statt sich die Problematik einzugestehen und Unterstützung zu holen, übertragen Eltern ihren Frust auf das Kind – bis hin zu körperlicher Misshandlung. Doch auch, wer „nur“ aus der Gemeinschaft ausgegrenzt wird, erlebt Schmerzliches, wie Studien im Schmerzzentrum des Gehirns nachweisen konnten.
Video
Es ist gar nicht so leicht, mit dem Thema „Schwarzes Schaf der Familie“ auf etwas humorvolle Weise umzugehen. Aber einen Versuch ist es wert, wie dieses Video belegt.
Raus aus der Rolle
Ob innerhalb der Geschwisterbeziehung oder nur zwischen Eltern und Kind – wer nie Zuwendung und Wertschätzung erfährt, trägt oft bis ins hohe Erwachsenenalter ein Gefühl der Unzulänglichkeit mit sich herum. Daraus entstehen übermäßiges Mangelempfinden, Schuld- und Schamgefühle, ohne wirklich zu wissen, was man falsch gemacht hat.
Umso wichtiger ist es, während der Bewusstwerdung der eigenen Rolle das Gespräch mit der Familie zu suchen – gegebenenfalls mit professioneller Hilfe. Eltern und Geschwister sind Teil des Problems, also auch Teil der Lösung. Viele Familien blocken da allerdings ab und verstärken nur ihre Ausgrenzung. Dann sollte das schwarze Schaf der Familie für sich alleine Familiensysteme und -geschichten herausfinden. Mithilfe systemischer Therapiearbeit kann es vielleicht Gründe entdecken und irgendwann verzeihen und loslassen.
Manchmal sind Familienmitglieder aber auch erleichtert, da sie sich der Ungerechtigkeit bewusst sind. Sie haben die Chance, sich zu öffnen und durch das schwarze Schaf neue Verhaltens- und Sichtweisen kennenzulernen – so wie in der echten Schafherde, in der schwarze Schafe willkommen sind.
Zur Autorin: Barbara Lang ist auf Psycho- und Familienthemen spezialisiert. Als Nesthäkchen einer vierköpfigen Geschwisterschar kennt sie vertrauens-, neid- und streitvolle Zeiten. Aber ein echtes schwarzes Schaf war von ihnen zum Glück niemand.
Stand: März 2021
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