Was hilft bei Tinnitus?
Ohrgeräusche ohne Schallquelle plagen fast drei Millionen Mitbürger. Bei der Behandlung von Tinnitus helfen umfassende Methoden am besten.
Text: Dr. Andrea Exler
Nervtötende Begleittöne in einem oder beiden Ohren quälen immer mehr Menschen. Die meisten arrangieren sich mit dem Tinnitus, doch für manche entsteht hoher Leidensdruck. Tinnitus kann akut auftreten oder chronisch werden, aber auch nach Jahren wieder verschwinden. Wenn dem Pfeifen, Rauschen oder Summen eine Erkrankung zugrunde liegt, wird diese gezielt behandelt. Oft ist Tinnitus allerdings idiopathisch, das heißt ohne klar bestimmbaren Auslöser. Dann helfen Verhaltenstechniken.
Maskierung
Gegen Tinnitus an sich gibt es keine Medikamente. Lediglich eine eventuelle Grunderkrankung (zum Beispiel Innenohrentzündung) oder Begleiterkrankungen (Schlafstörungen, Angststörungen) können medikamentös behandelt werden. Dennoch ist eine gezielte Therapie der Ohrgeräusche möglich. Als wirksam hat sich Maskierung mithilfe eines Rauschgeräts (Masker oder Noiser) erwiesen. Es sieht aus wie ein Hörgerät und erzeugt leise Töne, etwa Meeresrauschen, die als angenehmer empfunden werden als der Tinnitus. Das lästige Pfeifen oder Piepsen wird jedoch nur eingedämmt und nicht völlig überdeckt. Es bleibt im Hintergrund wahrnehmbar. So erreicht man in vielen Fällen eine Gewöhnung an die Ohrgeräusche (kompensierter Tinnitus). Sie macht es dem Patienten leichter, mit der Erkrankung zu leben. Statistisch haben mehr als die Hälfte der Menschen mit Tinnitus zugleich einen verringertes Hörvermögen. Hörgeräte mit integriertem Tinnitus-Noiser werden daher immer häufiger eingesetzt.
Aufklärung, Beratung, Selbsthilfe
Tinnitus trifft die meisten unvorbereitet, löst Ängste aus und kann zu einer quälenden Fixierung auf die Geräusche führen. Damit die Erkrankung gar nicht erst beginnt, den Alltag zu beherrschen, helfen Aufklärung und Beratung. Wie kann ich mich effektiv ablenken und welche Situationen sollte ich meiden? Welche Therapien sind für mich geeignet? Bei dem sogenannten Tinnitus-Counseling stehen die persönlichen Hörgewohnheiten im Mittelpunkt. Sie bilden die Grundlage für eine umfassende Bewältigungsstrategie, die gemeinsam mit dem Arzt festgelegt wird. Anlaufstellen sind HNO-Ärzte, geschulte Psychotherapeuten oder die Tinnitus-Sprechstunde in einer Klinik. Wichtig ist, diese Angebote frühzeitig zu nutzen, bevor hoher Leidensdruck entsteht. In einer Selbsthilfegruppe kann man sich gegenseitig motivieren. Ist die Belastung schon so groß geworden, dass ambulante Maßnahmen nicht ausreichen, kann eine psychosomatische Tinnitus-Klinik die ersten Schritte zur Bewältigung erleichtern.
Verhaltenstechniken
Subjektive Ohrgeräusche werden in dem Maß zur Belastung, wie der Betroffene sie als quälend und bedrohlich wahrnimmt. Negative Gefühle gegenüber dem Tinnitus führen in einer stetigen Abwärtsspirale zu noch mehr Ängsten bis hin zur Depression. Deswegen ist das Hauptziel der Behandlung, die Wahrnehmung der Dauertöne durch den Betroffenen zu verändern. Bei der Tinnitus-Retraining-Therapie („retrain“ heißt zurücktrainieren) lernen Patienten, die Ohrgeräusche zu tolerieren und ihnen schrittweise weniger Aufmerksamkeit zu widmen. Dabei werden meist die drei Elemente Verhaltenstherapie, Entspannungstechniken und die Nutzung von Maskern zu einem umfassenden Bewältigungstraining verbunden. Im Idealfall gelingt es, das Gehirn an das Geräusch zu gewöhnen. Ähnlich wie Anwohner einer viel befahrenen Straße den Verkehrslärm „nicht mehr hören“, bewertet das Gehirn des Tinnitus-Patienten die Töne dann als irrelevant und blendet sie aus.
Entspannung
Bewährte Entspannungstechniken (autogenes Training, progressive Muskelentspannung nach Jacobson oder Yoga) haben sich auch bei Tinnitus als hilfreich erwiesen. Denn Stress verstärkt die unerwünschten Geräusche. Das Gleiche gilt für Verspannungen und Fehlhaltungen, die infolge des Tinnitus erst auftreten können. Biofeedback ist eine – wissenschaftlich allerdings nicht belegte – Methode der Korrektur von Verspannungen. Sie macht Muskelanspannungen auf einem Bildschirm sichtbar und hilft, Verkrampfungen zu beherrschen. Aktuell wird außerdem die Wirkung von aktiver Musiktherapie auf Tinnitus-Patienten erforscht: Musiktherapeuten leiten dazu an, den Ohrgeräuschen aktiv durch improvisiertes Musizieren zu begegnen. Dazu werden entweder Instrumente verwendet oder die eigene Stimme; der Tinnitus kann sozusagen „weggesummt“ werden. Wie andere Methoden trägt auch dies dazu bei, Betroffenen, die sich den Ohrgeräuschen ausgeliefert fühlen, ein Stück weit die Kontrolle zurückzugeben.
Video
Zwei Übungen vom Schmerzspezialisten, die helfen könnten, den Tinnitus einzudämmen, sehen Sie in diesem Video
Kiefer- und Zahnprobleme
Nicht nur Erkrankungen im Ohr können Ursache von störenden Phantomtönen sein. Kieferfehlstellungen oder nächtliches Zähneknirschen (Fehlbelastung des Kiefers) werden häufig erst spät als Auslöser erkannt. Das Kiefergelenk befindet sich direkt neben dem äußeren Ohr und ist anatomisch mit dem Mittelohr verbunden. Das Gelenk kann durch nächtliches Knirschen (Bruxismus) überlastet sein, ohne dass der Betroffene davon weiß. Ein Fehlbiss bewirkt häufig Funktionsstörungen. Zur Korrektur von Fehlbelastungen und Stellungen gibt es mehrere Methoden. In gravierenden Fällen ist ein chirurgischer Eingriff nötig. Meist zeigt sich allerdings schon durch mechanische Korrektur eine deutliche Besserung: Aufbissschienen, Spezialschienen zur Bissführung sowie Schienen, die nächtliches Knirschen verhindern. Gegen die Fehlbelastung von Muskulatur und Gelenk hilft auch spezielle Krankengymnastik für den Kiefer.
Stand: Juni 2019
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