Akzeptieren, was ist
Akzeptanz hilft, in schweren Zeiten und beim kleinen Ärger flexibel zu bleiben. Doch sie will gelernt sein!
Text: Lara Buck
Es muss nicht gleich die große Lebenskrise sein, schon kleine Geschehnisse, Veränderungen oder Unzufriedenheiten können uns wie ein Fels im (Lebens-)Weg stehen: Viele von uns erleben das in diesem Jahr mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie, die ganz plötzlich von außen unser Privatleben verändern – von Homeoffice und Homeschooling bis hin zu Geld- und Existenzsorgen. Aber auch alltäglicher Unbill wie Stressmomente in der Arbeit, Phasen der Einsamkeit, Enttäuschungen in der Liebe oder Frust über den unvollkommenen Körper können unsere Lebensfreude einschränken wie festsitzende Bremsen. Ein wichtiges Werkzeug im Umgang mit solchen Situationen ist ein gesunder Akzeptanzprozess. Weg vom sträubenden „Das darf nicht sein, das ist ungerecht!“: sechs Techniken, um zu akzeptieren, was ist.
1. Annehmen statt hadern
Häufig drehen sich unser Groll, unsere Unzufriedenheit und unsere Ängste um Situationen, die wir nicht wirklich flugs ändern können: die lauten Nachbarn, der dauernölende Chef, die Warteschlangen beim Einkaufen, die zunehmenden Falten. Nun kann man versuchen, ständig gegen diese Tatsachen anzukämpfen, sich beschweren und in wildem Aktionismus verlieren oder sich verzweifelt dem Frust hingeben – doch all dies kostet Energie, macht übellaunig und bringt uns kein bisschen weiter. Klüger ist es, die Situation und die eigenen Gefühle wahr- und anzunehmen, also achtsam zu sein: Wer registriert, dass er sich gerade hilflos, ohnmächtig, ungerecht behandelt oder unterlegen fühlt, weiß schon mal, wo Wut und Angst herkommen. Wem es dann noch gelingt, die Situation aus anderen Sichtweisen zu betrachten, findet vielleicht sogar positive Aspekte. Die Problematik selbst löst sich dadurch nicht auf, aber Sie können akzeptieren, dass Sie es schwer akzeptieren können – und werden dadurch lockerer! Manchmal genügt übrigens auch das Mantra: „Das geht vorüber!“
2. Akzeptieren als Möglichkeit
Wer einmal begonnen hat, eine fordernde Situation aus anderer Sicht zu betrachten, hat schon einen sehr wichtigen Schritt in Richtung Flexibilität getan. Problembewältigung geht fast nicht ohne Flexibilität (siehe auch unseren Artikel „Geistig flexibel bleiben“). Dadurch tun sich oft neue Handlungsmöglichkeiten auf, auch wenn der Ausgangspunkt zunächst die Nicht-Akzeptanz ist. Ein guter Trick auf dem Weg dorthin ist die Frage: „Was würde ich tun, wenn ich diese Situation akzeptieren könnte?“ Man begibt sich also in eine andere Haltung – zumindest optional – und erlaubt sich, das Geschehen mit anderen Augen, anderen Gefühlen und anderen Gedanken zu betrachten. Für denjenigen, der sich dann öffnen kann, können sich so neue Perspektiven, Ansätze und Wege auftun, anders mit der Situation umzugehen. Im Idealfall entsteht dadurch aus der Option Akzeptanz ein tatsächliches Akzeptieren dessen, was gerade ist. Und dazu eine ganz neuartige, bereichernde Erfahrung und Erkenntnis, die sich auch später im Leben immer wieder anwenden lässt.
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10 Dinge, die man einfach akzeptieren muss im Leben. Sehr lebensnah zusammengefasst von der Psychologin Dr. Katharina Tempel.
3. Bedrohlichkeit entschärfen
Lebenskrisen, Veränderungen, Sorgen und Enttäuschungen – all dies löst in uns oft bedrohliche Fragen, Gefühle und Gedanken aus: Wie soll ich das nur schaffen? Keiner mag mich! Was, wenn ich versage? Solche Emotionen und Kognitionen sind normal, können aber zum Glaubenssatz werden, sich lähmend auf unser Verhalten auswirken und eine gute Weiterentwicklung verhindern. Dass es nichts hilft, sie zu ignorieren, haben wir bereits in Punkt 1 gelernt. Wie also kann ich diese beunruhigenden Gefühle und Gedanken akzeptieren? Eine Strategie aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (kurz: ACT) zielt darauf, die bedrohliche Wirkung zu minimieren. Kognitive Defusion nennt man das. Umgesetzt wird sie in Techniken, in denen man beispielsweise seinen sorgenvollen Satz öfter laut in einer verzerrten Piepsstimme ausspricht, ihn in einer bekannten Melodie singt oder einfach nur mehrmals nacheinander aufsagt. Den Ängsten wird so ihre Macht und Wucht genommen und wir bekommen mehr Abstand und Gelassenheit, ohne unsere Gedanken und Gefühle zu unterdrücken.
4. Akzeptieren durch Integrieren
Andere Techniken aus der Akzeptanz- und Commitment-Therapie arbeiten mit Metaphern und Bildern, die wir uns auch sehr gut für unsere Alltagsprobleme oder Krisensituationen aneignen können. Auch hier geht es darum, das Negative – ob Angst, Trauer, Schmerz oder Wut – akzeptieren und aushalten zu lernen: Stellen Sie sich Ihr Problem als Monster vor, mit dem Sie ringen und kämpfen und das Sie immer im Auge behalten. Es steht Ihnen gegenüber und Ihnen damit also im Weg. Versuchen Sie dann, sich vorzustellen, Ihr Monster zu umarmen, an die Hand zu nehmen und mit ihm gemeinsam den weiteren Lebensweg oder -abschnitt zu gehen. In dieser Versinnbildlichung erlauben Sie sich mehr Freiheit im Umgang mit Ihrem Problem. Ja, Sie machen sich buchstäblich frei und können loslassen: Denn wer nicht mehr kämpfen muss, hat die Hände und seine Energie für anderes frei. Wer nicht gegeneinander, sondern miteinander geht, hat einen freien Blick nach vorne. Die Metapher erlaubt es Ihnen, sich mit Ihrer Problematik zu versöhnen, sie zu akzeptieren und zu integrieren.
5. Mitfühlend mit sich selbst
Wenn sich uns im Leben Hürden in den Weg stellen, ist das schon schwer genug. Doch häufig verschärfen wir die Situation noch selbst, indem wir uns für unsere Gefühle und Gedanken schämen oder verurteilen, sprich: nicht akzeptieren, was ist. Doch es ist normal und verständlich, Angst, Verzweiflung, Enttäuschung oder Hilflosigkeit zu empfinden, wenn sich essenzielle Dinge ändern oder das Leben uns herausfordert. Seien Sie also mitfühlend mit sich selbst und geben Sie sich in solchen Zeiten das, was Sie auch einem guten Freund oder Ihren Liebsten geben würden: Selbstakzeptanz, Verständnis, Trost, Geduld, Kraft. Gehen Sie liebevoll mit sich um, gönnen Sie sich Wohltuendes, bauen Sie sich auf. Auch wenn Ihnen das merkwürdig vorkommen mag: Umarmen Sie sich mit Ihren eigenen Armen, umhüllen Sie sich mit weichen und wärmenden Stoffen, sagen Sie sich nette Dinge, machen Sie sich Kakao und Waffeln oder ein anderes Trostessen aus der Kindheit. Und stärken Sie sich und Ihren Körper mit Vitaminen, Bewegung, Frischluft und (wenn möglich) ausreichend Schlaf.
6. Dankbarkeit hilft
Ob bei körperlichem oder Herzschmerz, bei Stress in der Arbeit oder der Beziehung – in schwierigen Zeiten neigen wir dazu, einen Tunnelblick zu entwickeln. Wir sehen in unserer Verzweiflung nur noch dieses eine Problem. Das macht es noch gewichtiger, als es ohnehin ist. Indem Sie Ihre Sichtweise immer wieder auch auf die positiven Dinge in Ihrem Leben richten, nehmen Sie dem Problem seine Hauptrolle. Gewöhnen Sie sich an, dankbar zu sein für das Gute und Schöne, über das Sie sich freuen können: Ihre Kinder, Ihre gemütliche Wohnung, Ihren Freundeskreis, Ihre Erinnerungen, Ihre Gesundheit (auch bei vorübergehender Krankheit). Aber auch über Selbstverständliches: den Sonnenschein, eine duftende Blüte, das Kichern von Kindern, den Flow beim Radfahren … Wer diesen wundervollen, mal großen, mal kleinen Dingen im Leben mehr als einen flüchtigen Augenblick schenkt, gibt dem Positiven mehr Platz und nimmt dem Negativen die Übermacht. Auch dies hilft, ein Problem zu akzeptieren, und schützt davor, in einen trüben Gedanken- und Gefühlsstrudel zu geraten.
Zur Autorin: Als freie Journalistin recherchiert und schreibt Lara Buck sehr gerne zu Gesundheits- und Lifestyle-Themen. Von den neuen Erkenntnissen profitiert sie oft selbst. Diesmal z.B. von den Tipps gegen bedrohliches Gedankenkarussell – das kennt sie nur zu gut.
Stand: September 2020
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