Krank durch die eigenen Zähne?
„Krank durch Zähne“ klingt erst mal paradox. Gute Zahngesundheit ist aber nicht nur für unsere Mundhöhle wichtig! Die Bakterien können in den Blutkreislauf gelangen und schwere Krankheiten verursachen – bis hin zum Herzinfarkt.
Text: Karen Cop
Als Sybille K., 27, starke Zahnschmerzen bekam, dachte sie: „Ups, muss ich checken lassen!“ Doch sie fühlte sich vor allem überarbeitet, nahm ein Schmerzmittel und legte sich ins Bett: „Endlich Wochenende!“ An diesem schwoll ihre Backe stark an, sie bekam schlecht Luft und fühlte sich zu schwach, um zum Arzt zu gehen. Ihr Freund tat das Richtige und brachte sie in die Notfallambulanz der Klinik, gerade noch rechtzeitig. Die Ärzte diagnostizierten eine „stark eingeschränkte Herzfunktion“ wegen einer Herzmuskelentzündung.
Sybille konnte gerettet werden: Die Entzündung wurde mit Antibiotika gestoppt, das Herz erholte sich. Aber das ist nicht selbstverständlich! In ähnlichen Situationen sind die Herzklappen manchmal so befallen, dass neue nötig werden. Viele Menschen nehmen Zahnschmerzen nicht so ernst und haben über längere Zeit Entzündungen in der Mundhöhle, die sie schwächen – bis hin zu chronischen Organbeschwerden oder einer Blutvergiftung.
Krank durch Zähne? Bakterien in der Blutbahn
Warum? Milliarden Bakterien leben in unserem Mund. Sie regulieren Säure, schützen die Zähne, aber auch den Organismus vor Entzündungen. Gerät das Mundmikrobiom jedoch aus seinem gesunden Gleichgewicht, z. B. wegen schlechter, stark zuckerhaltiger Ernährung, können schädliche Bakterien es angreifen: Entzündungen, Karies oder Parodontitis gehören zu den häufigsten Folgen.
Diese Erkrankungen sind gut behandelbar, wenn das früh geschieht, bevor die Bakterien über die Zähne immer weiter in den Körper eindringen. Schließlich bilden alle Nerven und Blutgefäße ein Netzwerk. Und wenn Gifte und Bakterien einmal in den Blutbahnen angekommen sind, können sie jedes Organ erreichen und den gesamten Organismus schwächen – bis hin zur Lebensgefahr.
Parodontitis kann zu Herzinfarkt und Frühgeburt führen
Eine Parodontitis führt nicht nur zu schnell blutendem Zahnfleisch. Die Liste der Erkrankungen, die ohne Behandlung auf ihr Konto gehen, ist lang: Diabetes, Rheuma, Erektionsprobleme … „Sehr wahrscheinlich sind dieselben Bakterien, die Parodontitis auslösen, auch die Ursache für erhöhten Blutdruck und vermehrte Herzinfarkte sowie Schlaganfälle“, warnt Dr. med. Johannes Baulmann, Leiter der Abteilung für Angiologie der Kardiologischen Klinik am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck.
Im Organismus und also auch in den Blutgefäßen „regen sie entzündliche Prozesse an, die Gefäßwände werden fest und irgendwann sogar brüchig“. Die Zahnärztekammer NRW warnt, dass das Risiko, eine Frühgeburt zu erleiden, sogar auf das Siebenfache wächst.
Video
Überlegen Sie, was Parodontitis ist und wie Sie sie erkennen? In diesem Video klärt Dr. Reinhard Dittmann über die Erkrankung auf und Sie können mit ihm einen wissenschaftlichen Test machen, wie hoch Ihr Risiko ist:
Tun Kopf und Kiefergelenke weh?
Wenn das Zusammenspiel von Kaumuskeln, Kieferngelenken und Zähnen nicht klappt, könnte CMD dahinterstecken, craniomandibuläre Dysfunktion: Eine Knorpelscheibe hat sich im Inneren des Kiefergelenks verschoben und der Biss stimmt nicht mehr. Das ist nicht einfach zu diagnostizieren, denn die Patienten klagen nicht „nur“ über Schwierigkeiten beim Kauen oder Mundöffnen. Auch Kopf-, Nacken- und Ohrenschmerzen können Symptome einer CMD sein, ebenso Schlafstörungen oder Ohrgeräusche (Tinnitus). Häufig wird die CMD durch nächtliches Zähneknirschen und Aufeinanderpressen der Zähne ausgelöst. Eine Knirschschiene und Entspannungsübungen helfen und lindern Schmerzen. Aber es gibt auch andere Kiefergelenkerkrankungen, darum immer zahnärztlich abklären lassen!
Achtung, (alter) Zahnersatz!
Auch Zahnersatz kann Beschwerden im Körper auslösen, falls er nicht richtig eingesetzt wurde. Ist z. B. ein Zahn zu hoch oder zu niedrig, versuchen Gelenke, Muskeln und Zähne dies auszugleichen: Wir essen einseitig, kauen schief, belasten Muskeln nicht gleichmäßig, andere Zähne zu sehr. Das bereitet nicht nur dem Gebiss Probleme; Verspannungen können auch Nacken- und Rückenschmerzen verursachen.
Ein weiteres großes Problem sind alte Brücken und Füllungen: Durch Verschleißerscheinungen wie Risse dringen Bakterien ein und führen zu Entzündungen. Das berühmt-berüchtigte Füllmaterial Amalgam hat jedoch seltener zu Erkrankungen geführt als mal befürchtet, wie eine Langzeitstudie der TU München zeigte. Die Experten warnen sogar davor, intakte Amalgamfüllungen zu entfernen, weil gerade dann Quecksilber freigesetzt wird.
Mundhygiene kann Blutdruck senken
Die Deutsche Hochdruckliga e. V. meldete, dass eine bessere Mundhygiene und Zahngesundheit erhöhten Blutdruck senken kann, wie Kardiologe Dr. Baulmann mit anderen Medizinern feststellte. Sie untersuchten 100 Patienten mit Parodontitis und hielten fest, wie deren Blutdruck im Laufe einer zwölf Monate andauernden Behandlung „eindrucksvoll sank“.
Die fünfte, repräsentative Deutsche Mundgesundheitsstudie der Bundeszahnärztekammer zeigte aber auch, wie der ärztliche Behandlungsbedarf dank Zahnpflege und Prophylaxen wie der professionellen Zahnreinigung gesunken ist, z. B. sind 81 % der Kinder kariesfrei. „Kinder freuen sich hierzulande über die gesündesten Zähne und Senioren leiden nur noch selten unter völliger Zahnlosigkeit.“
Zur Autorin: Karen Cop hat eine großartige Zahnärztin mit Adleraugen, deren Team sich akribisch der Zahnreinigung widmet. Die Praxis verdient selten an Zahnersatz, denn Karies & Co. haben bei ihren Patienten kaum Chancen.
Stand: Oktober 2022
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