Stadt oder Land? Wo leben Familien besser?
Städte punkten mit tollen Angeboten für Familien. Doch auf dem Land lebt man günstiger, entspannter und näher an der Natur ...
Am Unterrichtsende mit der Tram-, S- oder U-Bahn heim. Dort wird der Nachmittag in einer Etagenwohnung verbracht, wo sich nicht selten Geschwister ein Zimmer teilen. Zum Blockflöte-Üben bleibt nur bis 18 Uhr Zeit, weil sonst andere Mieter meckern. So sieht der Alltag vieler Kinder in der Stadt aus. Anders lebt das Gros auf dem Land. Da geht es oft zu Fuß oder mit dem Rad in die Schule und zurück in ein Haus mit Garten. Dort ist genug Platz für Schaukel, Trampolin und Kaninchengehege. Auch Fußballspielen und Toben gehen, ohne irgendwen zu stören. 35,7 % der Bevölkerung leben laut Statistischem Jahrbuch 2017 in dicht besiedelten Gebieten, davon im Durchschnitt rund 30 % als Familie mit Kind; 22,8 % der Bürger wohnen in ländlichen Teilen der Republik, Tendenz stellenweise steigend. Denn vor allem junge Eltern sorgen für einen positiven „Wanderungssaldo“ – sie ziehen ein entspannteres Umfeld den Städten vor.
Viel Platz als Pluspunkt
Zu ihnen gehört Felix Schreiter. Von seinem Opa, der ihn mit auf die Jagd nahm, erbte der Sauerländer seine Liebe zum Wald. Nach der Schule machte er deshalb eine Lehre zum Forstwirt. Nebenher schnitzte er mit der Kettensäge Holzfiguren – sein Hobby bis heute. Den Traum vom eigenen Haus mit 500 Quadratmeter Grund konnte er sich vor fünf Jahren mit seiner Frau erfüllen. Wenige Schritte sind es von da bis zu Wiesen und Feldern; die Eltern wohnen 100 Meter entfernt. So kann die vierjährige Tochter gefahrlos zu Oma und Opa laufen. „Ich hätte in der Stadt meine Probleme mit dem Trubel und so vielen Menschen auf engem Raum“, begründet der 31-Jährige seine Entscheidung, in der Heimat zu bleiben. Pluspunkt außer viel Platz ist für ihn auch der enge Kontakt zu Familie, Freunden und Nachbarn. Mit denen wird ebenso oft wie gerne gegrillt oder gefeiert. Wenn es etwas zu helfen gibt, packt jeder handwerklich Begabte selbstverständlich mit an.
Probleme beim Breitbandausbau
„Die Vorzüge überwiegen“, resümiert der zweifache Vater. „Mit den Nachteilen kommen wir klar.“ Zum Beispiel der Notwendigkeit, zwei Autos zu unterhalten. Denn weder Supermarkt noch Metzger sind zu Fuß erreichbar, vom Kinderarzt ganz zu schweigen; der nächste praktiziert 30 Kilometer entfernt. Auch die Internetverbindung schwächelt, weil nicht genug Ports im Neubaugebiet am Rand des 2.118-Einwohner-Orts Kirchhundem vorhanden sind. Aus gutem Grund hat die Bundesregierung 2015 ein milliardenschweres Förderprogramm für den Breitbandausbau beschlossen, das noch nicht flächendeckend greift. Für private Kunden ist schlechtes Netz ärgerlich und lästig. Firmen hinken ohne Highspeed-Datenverkehr der Konkurrenz hinterher, Selbstständige mit Home-Office oder innovative Start-ups tun sich wegen solcher Strukturschwächen schwer.
Urbanes Leben als All-in-one-Lösung
In Städten hingegen gibt es kein Viertel ohne Internet, gratis WLAN in Bussen, Bahnen und fast jedem Café. Auch in anderer Hinsicht herrschen maximale Vielfalt und Angebote – egal ob Bildung, Gastronomie, Kinderbetreuung, Kultur, Lebensstil, Nationalitäten, Shopping oder öffentlicher Nahverkehr. Als „All-in-one-Lösung“ beschreiben Barbara Schaefer und Katja Trippel diese „Multioptionalität“ in ihrem Buch „Stadtlust“; Großstadt verstehen die beiden als Synonym für „fun places“, obwohl sie auch ihre problematischen Seiten nicht verschweigen: hohe Mieten und Immobilienpreise, Lärm, Schmutz, Staus, Gedränge, Stress. Für Sabine Bank waren das lauter Gründe, sich gegen ihr Loft im Zentrum von Hamburg zu entscheiden. „In der Hansestadt bin ich geboren, da wollte ich bleiben“, macht sie klar. „Doch als Mutter hat sich die Sichtweise verändert.“
Vorzüge zweier Welten
Kippen auf dem Spielplatz, Betrunkene im Park, Autos dicht an dicht: Das wollte sie ihrer ersten Tochter nicht zumuten. Mit ihrem Mann fand sie ein Häuschen am Stadtrand, das die beiden mit viel Eigenleistung renovierten und mit zwei weiteren Kindern bewohnten. Mittlerweile lebt die 55-Jährige mit Nachzüglerin Lola noch etwas weiter draußen in Blankenese, das sie „gepflegt, gediegen und behütet“ findet und für sie „Landqualität relativ nah an der Stadt mit ihrer Vielfalt“ hat. So schätzt und nutzt Sabine Bank die Vorzüge zweier Welten. Diese Lösung mögen viele Familien, die verstärkt in die Speckgürtel der Städte ziehen. Grüner ist es hier und das Wohnen günstiger, gleichzeitig aber alles, was die Stadt zu bieten hat, leicht erreichbar. Suburbanisierung nennt sich dieser Trend. Zusätzlich gibt es bundesweit über 2.000 Kleinstädte, in denen sich Familien ebenfalls wohlfühlen. So haben sie nicht nur die Wahl zwischen Stadt und Land. Zwischen beiden gibt es diverse Varianten – von Burghausen über Cochem bis Kühlungsborn.
Lektüretipps
Hier kommen unsere Bücher und Website-Tipps über das Leben in zwei unterschiedlichen Welten. Je nach Typ und Situation sind Familien in Städten oder auf dem Land besser aufgehoben.
Bücher
„Stadtlust. Vom Glück, in der Großstadt zu leben“
von Barbara Schaefer und Katja Trippel, Blanvalet, 19,99 Euro: Neun Kapitel über das Leben in der Großstadt, die auf persönlichen Erfahrungen der Autorinnen basieren. Für Horizonterweiterung sorgen Informationen zu Trends wie Urban Gardening, Mehrgenerationenwohnen und Klimaschutzstrategien wie energetische Baupolitik.
„Stadt als System“
von Klaus Burmeister und Ben Rodenhäuser, Oekom Verlag, 14,95 Euro: Fundiertes Sachbuch über Trends und Herausforderungen für die Zukunft urbaner Räume. Als Kontrastprogramm zu Negativklischees informieren die Autoren über vielversprechende Ansätze wie energieeffizente Gebäude oder neue Formen urbaner Wertschöpfung u.a. in kreativen Milieus.
„111 Gründe, aufs Land zu ziehen“
von Erika Thimel und Karin Michaelis, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 9,99 Euro: Liebeserklärung an das „gute Leben“ mit viel beruhigendem Grün, gegenseitiger Hilfe und Outdoor-Sportmöglichkeiten. Teil des Plädoyers sind überraschende Einblicke, zum Beispiel das geringere Seitensprung- und Scheidungsrisiko in ländlichen Regionen.
„Rettet das Dorf!“
von Gerhard Henkel, dtv, 22 Euro: Streitschrift des bekannten Humangeografen und „Dorfpapstes“ über den flächendeckenden „Niedergang des Landes“ auf der einen und motivierenden Verbesserungsvorschlägen sowie Beispielen für den hohen ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Mehrwert deutscher Dörfer auf der anderen Seite.
Websites
www.stadtlandmama.de
Blogmagazin für „überalle Eltern“ von zwei Müttern. Die eine lebt mit Mann und drei Kindern in Berlin, die andere mit ihrer Familie und etlichen Tieren im Bergischen Land. Abgesehen von Unterschieden in ihrem Lebensumfeld schreiben die beiden über Themen, die jeden angehen – egal ob Erziehungserschöpfung oder Stolz auf den Nachwuchs.
bayern.wowohnen.eu
Mobilitätsrechner für den Großraum München mit einem Überblick über alle Kosten möglicher Wohnstandorte. Inklusive sind ein Vergleich der individuellen Nutzung von Auto oder Bus und Bahn zum Arbeitsplatz, Informationen über den Zeitaufwand der Fahrten und den ökologischen Fußabdruck. Ähnliche Angebote gibt es z.B. für Hamburg und Baden-Württemberg.
www.daserste.de
Wer in der Stadt wohnt, lebt umweltfreundlicher als angenommen. Dieser Filmbeitrag erklärt, dass Mehrgeschossbauten weniger Fläche verbrauchen, öffentliche Verkehrsmittel CO2-sparender sind als Autofahren und viele Flora- sowie Faunaarten sich im urbanen Umfeld besonders wohlfühlen.
Stand: September 2018
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