Discovering Hands
Eine sanfte Methode der Brustkrebs-Früherkennung nutzt den ausgeprägten Tastsinn blinder Frauen. Studien belegen die Wirksamkeit.
Text: Dr. Andrea Exler
Rund jede achte Frau in Deutschland erkrankt im Lauf ihres Lebens an Brustkrebs. Er ist nicht nur die häufigste Krebsart, sondern die häufigste Todesursache überhaupt bei Frauen zwischen 30 und 60 Jahren. Mehr als 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr werden registriert. Die Heilungschancen sind umso besser, je früher er erkannt wird. Ab dem Alter von 50 übernehmen die Krankenkassen alle zwei Jahre die Kosten für eine Mammographie (Röntgenuntersuchung). Für unter 50-Jährige wird lediglich eine Tastuntersuchung angeboten.
Video
Menschen mit einer Sehbehinderung haben sehr viel mehr Fingerspitzengefühl. Das Video zeigt, wie dieses Talent bei der Brustkrebsvorsorge hilft.
Das Projekt Discovering Hands
Etwa jede fünfte Brustkrebspatientin ist unter 50. Frauen dieser Altersgruppe sind daher aufgerufen, ihre Brüste regelmäßig zu checken, durch Selbstuntersuchung oder in der gynäkologischen Praxis. „Im Rahmen der Sprechstunde sind die Bedingungen für die Tastuntersuchung nicht optimal“, erklärt der Duisburger Gynäkologe und Gründer des Projekts Discovering Hands, Dr. Frank Hoffmann. „Deswegen hatte ich die Idee, eine zusätzliche Untersucherin zu beschäftigen, die einen besonders guten Tastsinn hat und sich nur dieser Aufgabe widmet.“ Discovering Hands bildet seit 2005 blinde und sehbehinderte Frauen zu Medizinisch-Taktilen Untersucherinnen (MTUs) aus, derzeit an fünf Standorten deutschlandweit.
Eine anspruchsvolle Ausbildung
Bei der medizinisch-taktilen Untersuchung, die zwischen 30 und 60 Minuten dauert, werden beide Brüste sowie die Lymphabflusswege im Bereich der Achselhöhlen nach kleinsten Gewebeveränderungen abgesucht. Die MTUs nutzen hierfür ein standardisiertes Verfahren, das eigens für sie entwickelt wurde und in einer neun Monate dauernden Qualifizierung erlernt wird. Wie fühlen sich Zysten an, wie gutartige und wie bösartige Tumoren? Neben taktilen Fertigkeiten werden auch soziale Kompetenzen und medizinisches Basiswissen vermittelt. Die Initiative des Duisburger Gynäkologen hat zahlreichen Frauen, die wegen fortschreitender Sehbehinderung ihren Beruf aufgeben mussten, neue Perspektiven eröffnet. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen für gelungenes soziales Unternehmertum und wird von namhaften Sponsoren wie der Bayer-Stiftung gefördert.
Wirksamkeit erwiesen
Die Trefferquote der MTUs im Vergleich zu untersuchenden Gynäkologen wurde in mehreren Studien untersucht. In der Pilotphase des Projekts waren bei einem Screening von 451 Patientinnen durch Ärzte und MTUs etwa 29% aller entdeckten Tastbefunde nur durch die MTU-Gruppe erkannt worden. Eine 2019 veröffentlichte Untersuchung der Universität Erlangen testete die Effektivität erneut an 395 Frauen. Hier war die Trefferquote bei MTUs und Ärzten nahezu identisch (82%). Bei Frauen, die sowohl von einem Arzt als auch von einer MTU abgetastet wurden, erhöhte sich die Quote auf 89%. Die Autoren empfehlen daher, beide Untersuchungen zu kombinieren.
Stand: September 2019
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