Die Heilkraft des Atems
Atemtherapien findet man heute in der alternativen und in der schulmedizinischen Praxis. Erfahren Sie mehr über die 1001 Potenziale des Atems.
Text: Berit Larsen
Atemtherapie bei Asthma & Co.
Wer an einer Atemwegserkrankung leidet, profitiert von der medizinischen Atemtherapie: Sie vermittelt verschiedene Techniken für den Alltag wie die Lippenbremse (langsames Ausatmen durch angespannte Lippen) sowie die Bauch- und Zwerchfellatmung. Weitere Übungen stärken Lunge, Bronchien und Atemmuskulatur. Die Behandlung findet oft im Rahmen einer Kur in einer Spezialklinik statt, wo spezielle Apparate zusammen mit Atemphysiotherapie eingesetzt werden. Die Reflektorische Atemtherapie erleichtert beispielsweise durch äußere Reize wie Massagen, Vibrationen und Wärme die Atmung. Begleitet von gezielter Atemgymnastik, die durch bestimmte Stellungen und Dehnungen Atemerleichterung bringen. Patienten lernen so u.a. mit akuten Anfällen besser umzugehen.
Medizinische Atemtherapien
Während in o.g. Fällen die Atmung selbst therapiert wird, hat sich der Atem längst auch als therapeutisches Mittel etabliert – z.B. in der Gynäkologie, Orthopädie, Internistik und Chirurgie. Ob als Reha-Maßnahme nach einer Operation, bei Bluthochdruck oder schwacher Herzleistung, bei chronischen Schmerzen, Verspannungen und Haltungsfehlern oder, ziemlich klassisch, bei der Geburtshilfe. Die Atemarbeit zielt hier meist auf die Verlangsamung und Vertiefung des Atmens, um die Sauerstoffversorgung zu verbessern und das vegetative Nervensystem zu beruhigen. So lässt sich z.B. das Schmerzempfinden reduzieren. Eine einfache, wirksame Übung, die jeder ausprobieren kann, heißt „4711“: vier Sekunden einatmen, sieben Sekunden ausatmen und das elf Minuten lang.
Atem in der Psychotherapie und Psychosomatik
Dass die Atmung eng mit Emotionen verbunden ist, kennt jeder. Rund um unsere psychische und psychosomatische Verfassung können Atemtherapien deshalb viel verbessern, z.B. bei Depressionen und Ängsten, Erschöpfungs- und Spannungszuständen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen. Aber auch palliativtherapeutisch, etwa bei der Begleitung von Krebspatienten, können Atemtechniken beruhigen und Halt geben. Meist treffen sich in diesem Bereich westliche und fernöstliche Lehren. Ein Klassiker der deutschen Atemschule ist das „Erfahrbare Atmen“ nach Ilse Middendorf. Die „Grande Dame der Atemtherapie“ steuert den Atem nicht, im Gegensatz zu anderen Therapien. Ihre Lehre stärkt die Individualität des Atemrhythmus für ein besseres Körper- und Selbstbewusstsein.
Alternative Atemtherapien
Alternative Atemtherapien gibt es in vielen Kulturen – sie eignen sich, um Körperbewusstsein und Ausgeglichenheit zu stärken, zielen aber auch auf bestimmte Körperregionen oder Krankheiten, um die Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Zugrunde liegt die ganzheitliche Betrachtung von Körper und Geist, verbunden durch den Atem als Kraft. Mit die ältesten Atemtechniken stammen aus dem chinesischen Qigong oder dem indischen Yoga. Das Pranayama kennt über 50 Techniken, um die Atmung zu steuern – mal mit beruhigender, mal mit aktivierender Wirkung. „Prana“ ist Sanskrit und heißt Lebensenergie, „Ayama“ bedeutet Kontrolle. Manche beschleunigende Pranayama-Techniken müssen lange unter Begleitung erlernt werden, sonst kann es zu negativen Effekten kommen.
Schamanisch verwurzelte Atemmethoden
Dass bewusst beschleunigte Atmung starke physiologische und psychologische Effekte erzeugen kann, wird seit Jahrtausenden in schamanischen Ritualen genutzt. Gezieltes Hyperventilieren führt rauschartige Trancezustände herbei, die sich durch den herabgesetzten Kohlendioxidspiegel, verengte Gefäße und eine Sauerstoffunterversorgung des Gehirns erklären lassen. Das Rebirthing nach Leonard Orr, das Intuitive Atmen nach Karl Scherer und das Holotrope Atmen nach Stanislav Grof nutzen diesen Effekt. Die Methoden sind therapeutisch sehr umstritten, da sie massive Nebenwirkungen wie Muskelkrämpfe, Schwindelgefühl, Ohnmacht oder psychotische Symptome auslösen und für Menschen mit Epilepsie, Asthma oder Herzproblemen lebensbedrohlich sein können.
Stand: Dezember 2019
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