Mein Baby verstehen
Eine bedürfnisorientierte Zuwendung ist in den ersten Lebensmonaten das Wichtigste, um die Signale Ihres Babys richtig zu deuten. So geht’s …
Text: Lara Buck
Das erste Baby ist ein Abenteuer – alles anders, alles neu. Kein Wunder, dass frischgebackene Eltern und ihr Neugeborenes erst mal Zeit brauchen, um sich miteinander einzugrooven. Das ist ganz normal! Mutter und Vater müssen ihren Säugling erst verstehen lernen. Fachleute sprechen oft auch von: das Baby lesen lernen. Wie signalisiert es welche Bedürfnisse?
Die Kunst, das Baby zu verstehen, entwickelt sich
Wenn Babys schlafen, trinken und neugierig in die Welt gucken, sind sie so süß. Doch wenn sie weinen, schreien, quengeln, kommen Eltern schnell an die eigenen Grenzen. Warum weint mein Baby? Was braucht es, was fehlt ihm? Erstlingseltern können bei anhaltendem Schreien schon mal nervös werden und sich fragen: Mache ich etwas falsch? Nein. So wie das Neugeborene sich erst an seine Umwelt gewöhnen und seinen Schlaf-Wach-Rhythmus finden muss, so bildet sich auch die Kunst, sein Baby zu verstehen, erst mit den Wochen und Monaten heraus. Jeder Säugling entwickelt sich anders und hat seine eigene Babysprache – unterschiedliche Arten zu weinen und seine Körpersprache sind ein Teil davon.
Babys Signale verstehen: Hunger oder Windel voll?
Ob der Säugling Hunger oder eine volle Windel hat, finden frischgebackene Eltern am schnellsten raus. Alle zwei bis vier Stunden trinken Neugeborene – auch das individuell unterschiedlich. Ein hungriges Baby signalisiert das erst durch Unruhe, dann durch Quengeln und es fängt an zu schreien, wenn es womöglich noch auf ein Fläschchen warten muss. Ehe es so weit kommt, kann man ihm testweise den Finger an den Mund halten. Beginnt es gierig daran zu nuckeln, heißt das: Hunger. Und was die Windel angeht: Nicht jeder Säugling empfindet es als unangenehm, wenn sie voll ist. Also: ruhig mal öfter schnuppern oder nachsehen, damit der Po nicht wund wird.
Baby verstehen heißt: seine Körpersprache richtig deuten
Müdigkeit und Überforderung liegen bei Säuglingen nahe beieinander – auch in der Körper-, also Babysprache. Sie drehen den Kopf weg und quengeln: Jetzt benötigen sie Ruhe, Zuwendung und Geborgenheit. Bekommt ein müdes Baby das nicht, beginnt es zu weinen, ist dabei aber eher schlaff, reibt sich vielleicht die Augen oder Ohren. Ein überreiztes Baby (oft die Stufe nach der nicht erkannten Müdigkeit) schreit schrill und drückt manchmal das Hohlkreuz durch. Um sich wieder zu beruhigen, brauchen Säuglinge die Unterstützung ihrer Eltern: Auf den Arm nehmen, abschirmen von äußeren Reizen (Menschen, Musik, Fernseher), tragen, wiegen, streicheln, murmeln – all dies hilft. Auch Stillen kann beruhigen.
Weinen kann viel heißen – wie verstehe ich mein Baby richtig?
Quengeln, weinen, schreien kann noch viele andere Bedürfnisse signalisieren. Es ist nicht immer leicht, das Baby zu verstehen. Vielleicht schwitzt oder friert der Säugling? Das erkennt man am besten im Nacken (nicht an Händen und Füßen, die meist eher kühl sind). Das Baby will Aufmerksamkeit? Ausprobieren, ob es sich bei Zuwendung beruhigt und den Blickkontakt sucht – dann ist Zeit zum Spielen und Schmusen. Oder hat der Säugling Schmerzen? Dann schreit er eher schrill und plötzlich. Vielleicht sind es Blähungen, gegen die eine sanfte Bauchmassage (kreisend im Uhrzeigersinn) helfen kann. Bei länger anhaltendem Schreien lieber einmal zu viel als zu wenig die Hebamme oder Kinderarztpraxis kontaktieren!
Mein Baby verstehen heißt: seine Bedürfnisse kennen
In unserer reizüberfluteten Welt ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Neugeborene und Säuglinge in ihren ersten Lebensmonaten längst nicht so viele Reize und Bespaßung brauchen, wie wir Erwachsenen manchmal denken. Sie können sie nicht verarbeiten und kommen schnell in die Überforderung. Weniger ist mehr, gilt hier bei äußeren Reizen. Wohingegen sie von Kuscheln, Zuwendung und Geborgenheit nicht genug kriegen können. Fühlen Neugeborene und Babys sich gut verstanden und bekommen ihre Bedürfnisse gestillt, sind sie auch insgesamt entspannter – so können Säuglinge auch irgendwann Selbstberuhigung lernen.
Bindung ist das Zauberwort, damit Eltern und Baby sich verstehen
Während man früher dachte, man könne Babys durch zu viel Zuwendung verwöhnen, gilt diese Überzeugung heute als überholt. Nach aktuellen Empfehlungen sind Geborgenheit und eine bedürfnisorientierte Zuwendung vom ersten Lebenstag an der Schlüssel für eine enge und gute Eltern-Kind-Bindung. Diese wiederum fördert eine gesunde Entwicklung des Kindes und hilft in so mancher Schreistunde.
Eine starke Bindung ist auch das Ziel der Attachment-Parenting-Methode, die auf den US-amerikanischen Kinderarzt William Sears und seine Frau Martha zurückgeht. Die sieben B’s der Methode: Birth bonding (Bindung bei der Geburt), Breastfeeding (Stillen), Babywearing (Tragen), Bedsharing (in einem gemeinsamen Bett schlafen), Believe in baby’s cries (Signal des Weinens ernst nehmen), Beware of babytrainers (Vorsicht bei Ratschlägen von außen und strengen Ratgeberprogrammen), Balance and boundaries (Balance von Bedürfnissen und Grenzen). Auch diese sieben Säulen muss man nicht als Dogma verstehen, aber sie sind ein guter Pool, an dem man sich entsprechend der eigenen Lebenssituation bedienen kann und sollte. Vieles davon machen junge Eltern vielleicht schon unbewusst richtig – anderes hilft ihnen als gute Inspiration, ihr Baby noch besser zu verstehen!
Video
Das Baby richtig pucken: eine Videoanleitung mit Tipps von Hebamme Laura.
Lektüretipps
Internetseiten, Sachbücher und Broschüren zum Thema „Mein Baby verstehen“ informieren und inspirieren:
„Mein kompetentes Baby. Wie Kinder zeigen, was sie brauchen“, von Nora Imlau
Babys entwickeln sich nicht vom Unfertigen zum Fertigen, sondern werden von kompetenten Neugeborenen zu kompetenten Babys zu kompetenten Kleinkindern. Dieser revolutionäre Blick auf Babys entlastet die Eltern, denn wer versteht, wie Babys „ticken“, erkennt schneller, was sie brauchen, um ausgeglichen und zufrieden zu sein.
„Baby-Nöte verstehen: verblüffend einfache Alltagshilfen aus der osteopathischen Praxis“, von Karin Ritter
Die renommierte Kinder-Osteopathin zeigt, wie Eltern mit winzigen Hilfestellungen die gesunde Entwicklung ihres Babys fördern. Sanft und lindernd, einfach und wirksam, anschaulich und klar.
„Schlaf gut, Baby! Der sanfte Weg zu ruhigen Nächten”, von Herber Renz-Polster und Nora Imlau
Das erfahrene Autorenteam räumt Mythen und Ängste rund um den Kinderschlaf von 0 bis 6 Jahren aus dem Weg und plädiert für eine entwicklungsgerechte, individuelle Wahrnehmung des Kindes - fernab von starren Regeln. Einfühlsam und auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse.
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Zur Autorin: Lara Buck ist Journalistin, Sozialpädagogin und Mutter. Ihr Sohn war als Baby eine Zeit lang schreckhaft und weinte plötzlich los. Sie weiß: Das eigene Kind kann einem manchmal fremd sein. Wichtigstes Mantra: Das ist alles nur eine Phase! Rückblickend hat sich alles verwachsen.
Stand: Juni 2022
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