Ablauf bei der Vollnarkose
Keine Angst vor Narkosen, denn sie sind besser als ihr Ruf. Hier lesen Sie, was beim Vorgespräch, im Operationssaal und im Aufwachraum passiert – und wie Sie sich auf den Ablauf bei der Vollnarkose vorbereiten können.
Text: Karen Cop
Wieso vielen Menschen der Ablauf der Vollnarkose wichtig ist
Schließen Sie die Augen. Stellen Sie sich etwas Schönes vor: Ihren Liegestuhl, den Blick aufs Meer. Hören Sie das Gemurmel von Menschen, die plaudernd vorbeiziehen, dazu das Rauschen der Wellen, ihr Kommen und Gehen, Kommen und Gehen …– schlafen Sie schon oder lesen Sie noch? Dann erfahren Sie jetzt: Wenn ein Narkosearzt nett ist, beginnt er Ihre Reise in das Reich der Anästhesie mit Worten, die Sie sanft in die Welt des künstlich herbeigeführten Schlafes gleiten lassen. Plötzlich hören Sie nichts mehr, sondern träumen einfach weiter. So wie im Schlaf.
Im Vorfeld hatten Sie dagegen sicher gemischte Gefühle, womöglich Angst. Schließlich muss es einen guten Grund geben, um „unters Messer“ zu kommen: ein schwerer Bruch, eine Krankheit, womöglich besteht Lebensgefahr. Über 7 Millionen der 18 Millionen Menschen, die 2019 ins Krankenhaus kamen, wurden laut Statistischem Bundesamt operiert und „es wird angenommen, dass zwischen 40 und 80 Prozent der zu operierenden Patienten Ängste im Zusammenhang mit einer Operation entwickeln. Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, ob der operative Eingriff als Notfall oder als Elektiveingriff erfolgt.“ „Elektiv“ bedeutet: nicht sofort zwingend. Die meisten Operationen sind geplant und kein Notfall.
Vor der Narkose: So bereiten Sie sich optimal vor
Es bleibt also Zeit, sich auf die Narkose vorzubereiten, damit die Operation schmerzfrei und ohne Komplikationen verläuft. Ein Narkosevorgespräch ist gesetzlich vorgeschrieben, damit der Anästhesist die Narkose für Sie maßschneidern kann. Bei diesem Termin fragt ein Narkosearzt Sie nach Vorerkrankungen. Auch Fragen zu Ihrer Kondition, also Ihrem Herz-Kreislauf-System sind wichtig: Können Sie ohne Pause zwei Treppen hochsteigen? Wird Ihnen beim Aufstehen schnell schwindelig? Mussten Sie sich nach einer OP schon einmal übergeben? Sagen Sie Ihrem Arzt, ob Sie Allergien haben, zum Beispiel gegen Penicillin oder Schmerzmittel. Außerdem muss der Narkosearzt wissen, welche Medikamente Sie einnehmen, damit er die Narkosemittel passend zusammenstellen kann. Bestimmt sagt er Ihnen auch, was Sie sonst noch beachten müssen, Tage bis Stunden vor der Operation.
Hier kurz im Überblick:
- nicht fest sitzende Zahnprothesen vor der OP herausnehmen
- keine Schlafmittel einnehmen + mindestens 6 Stunden vor der OP (und möglichst lange nach der OP) nicht rauchen, weil das die Magensäure anregt und zudem die Wundheilung stört
- nüchtern sein, das heißt spätestens 6 Stunden vor der OP nichts mehr essen, damit es im Falle eines Erbrechens nicht zu Komplikationen kommt
- trinken dürfen Sie bis zu 2 Stunden vor der OP: Wasser oder ungesüßten Tee
Entspannung und Tipps gegen Angst vor der Narkose
Fehlt nur noch ein Mittel zur Entspannung. Kinder nehmen ein Kuscheltier mit, aber vielleicht haben auch Sie etwas Beruhigendes: ein schönes Foto, einen besonderen Stein oder Schmuck. Dazu eine Entspannungstechnik im Hinterkopf, falls Herz und Atmung vor Nervosität schneller gehen. Übungen zur Muskelentspannung können helfen, Atemübungen beruhigen oder auch die Lieblingsmusik aus den Kopfhörern. Paul, der wegen einer Krebserkrankung in den Kliniken Köln operiert wurde, berichtet: „Ich habe meine Ängste gut verdecken können, indem ich aktiv wurde. Ich bin zum Sport gegangen und während dieser Zeit waren dann die beunruhigenden Gedanken nicht mehr da.“
Hier finden Sie viele Tipps zum Umgang mit der Angst vor einer OP.
Während der Narkose: von der Narkoseeinleitung bis zum Aufwachraum
Grundsätzlich wird zwischen zwei Narkosen unterschieden: der Regionalanästhesie und der Allgemeinanästhesie. Bei der Regionalanästhesie wird lokal betäubt und Sie bleiben bei Bewusstsein. Nur bei der Allgemeinanästhesie, der Vollnarkose, schlafen Sie tief und fest. Für beide wird zunächst ein Venenzugang gelegt, meistens in Arm oder Hand. Durch diesen kann der Narkosearzt zum Start ein Beruhigungsmittel spritzen, falls der Blutdruck vor Aufregung steigt, später dann die Narkosemittel. Bei jeder Vollnarkose ist eine Beatmung nötig, weil alle Muskeln, auch die Atemmuskeln, während der OP völlig entspannt sind. Deshalb wird eine Gesichts- oder Kehlkopfmaske aufgelegt, durch die vor der Narkoseeinleitung erst mal eine Extraportion Sauerstoff fließt. Die eigentliche Beatmung bekommt man nicht mehr mit.
Mehr zu den unterschiedlichen Möglichkeiten der Beatmung lesen Sie hier. Während der Narkose werden die Körperfunktionen ständig überwacht, das Herz etwa per EKG, manchmal die Hirnströme mittels EEG. Auch die Tiefe der Narkose wird ständig kontrolliert, um sicherzustellen, dass die Patientin oder der Patient nicht zu flach oder zu tief betäubt ist, heißt: schmerzfrei, aber den Kreislauf schonend. Das Gehirn bleibt trotz Narkose weiter aktiv. „Im wachen Zustand kann man es sich wie ein volles Fußballstadion vorstellen“, erklärt Nikoloz Sirmpilatze, Forscher am Leibniz-Institut, „unsere aktiven Nervenzellen sind wie Zehntausende Zuschauer, die alle durcheinanderreden. Unter Narkose ist die Aktivität der Nervenzellen jedoch synchronisiert. Man kann diese Aktivität mittels EEG als gleichförmige Wellen messen, so als würden alle Zuschauer im Stadion das gleiche Lied singen.“
Narkosemittel: Narkosegas und -medikamente
Was für Mittel sind das, die Sie in so einen tiefen Schlaf versetzen, dass Sie nichts mehr spüren, fragen Sie? Es ist ein kleines Feuerwerk für drei Ebenen: 1. Bewusstseinsausschaltung, 2. Schmerzausschaltung, 3. Muskelentspannung. Die Medikamente werden vom Narkosearzt je nach Operation und Patient ausgewählt und kombiniert. Mittel wie S-Ketamin eignen sich für kurze, aber sehr schmerzhafte Eingriffe, auch Opiate können zum Einsatz kommen. Manchmal werden Narkosegase über die Atemwege verabreicht. Die Inhalationsanästhesie ist die älteste Form der Narkose, wird heute aber meistens nur in Verbindung mit anderen Narkosemitteln im Rahmen einer sogenannten balancierten Anästhesie angewandt; sie allein ist meist nur für Kinder ausreichend. Wenn die Operation dem Ende zugeht, folgt die Narkoseausleitung: Der Anästhesist fährt die Medikamente runter und erhöht die Sauerstoffzufuhr. Das ist für den Körper etwas stressig, weshalb Herz und Kreislauf ständig beobachtet und gegebenenfalls unterstützt werden. Sobald die Patientin oder der Patient wieder selbst atmen kann, wird der Tubus aus der Luftröhre entfernt sowie der Speichel abgesaugt und man darf in den bewachten Aufwachraum.
Nach der Narkose: erste Schritte und mögliche Nachwirkungen
„Wie geht es Ihnen?“ Das wurden Sie schon im Operationssaal gefragt, aber die meisten erinnern sich, wenn überhaupt, nur schwach daran. Die durchschnittliche Erholungszeit nach einer Narkose, bis Sie wieder ganz wach sind, dauert etwa 30 Minuten. Auch danach ist es normal, wenn Sie sich schläfrig fühlen, vielleicht etwas verwirrt. Das Kurzzeitgedächtnis ist eventuell beeinträchtigt. Solche leichten Nebenwirkungen sind normal, ebenso Heiserkeit oder Halsschmerzen nach der Beatmung. Sie verschwinden normalerweise schnell. Falls Sie eine ambulante Operation hatten, dürfen Sie 24 Stunden nicht am Straßenverkehr teilnehmen und müssen von jemandem abgeholt werden, der Sie nach Hause bringt. Ein Taxifahrer reicht nicht! Viele Menschen fühlen sich nach der Operation gut, zumal Kreislauf- und Schmerzmittel wirken. Aber übernehmen Sie sich nicht, der Schein trügt! Sie müssen jetzt wirklich ruhig bleiben, um zum Beispiel Kreislaufprobleme und Nachblutungen zu vermeiden. Wegen Komplikationen wie diesen ist es wichtig, dass anschließend jemand in Ihrer Nähe bleibt, um notfalls zu helfen oder Hilfe zu holen.
Sind Kinder und ältere Menschen Risikopatienten?
Vollnarkose im Alter? Lieber nicht! So denken immer noch viele, weil sie Angst haben vor einem postoperativen Delir, einer Gedächtnisstörung nach der Operation. Tatsächlich zeigt die Statistik eine Zunahme bei hochbetagten Patienten. Andererseits mehren sich Hinweise aus aktuellen Studien, dass das Delir-Risiko „nur“ steigt, weil ältere Menschen weniger Narkosemittel brauchen als jüngere Erwachsene. Ärzte empfehlen zudem möglichst minimalinvasive Eingriffe: einerseits, damit die Operation und die Vollnarkose nicht zu lange andauern, andererseits, um die Zeit der Bettruhe möglichst kurz zu halten, die ein größeres Risiko für unerwünschte Nach- und Nebenwirkungen wie eine Thrombose birgt. Wenn ein Kind operiert werden muss, dürfen die Eltern immer mit ins Krankenhaus, bei einigen Kliniken sogar mit in den Operationssaal, bis das Kind eingeschlafen ist. Es bekommt etwa eine Stunde vor der OP einen Beruhigungssaft, der gar nicht mal schlecht schmeckt. Und im Aufwachraum dürfen Mama oder Papa ihr Kind gleich in Empfang nehmen. Was sonst noch passiert, erklärt der folgende Film.
Video: Ich werde operiert
Das Universitätsklinikum Münster hat einen Film gedreht, der kindgerecht erklärt, wie eine Operation mit Narkose abläuft. Du siehst darin Amelie und ihren Teddy Gisbert auf dem Weg in den Operationssaal – und der Papa ist auch dabei!
Zur Autorin: Karen Cop ist Gesundheitsjournalistin und steht mit beiden Beinen im Leben. Doch seit sie einmal Propofol bekam, weiß sie, warum Stars wie Michael Jackson nicht genug davon bekommen konnten: Nach solchen Träumen wird die Psyche süchtig.
Stand: Oktober 2023
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