Karate im Alter
Kampfsport verbinden viele mit Jugend, wenn Kraft und Schnelligkeit am höchsten sind. Doch es gibt gute Gründe, Karate auch im Alter zu betreiben.
Warum Sie diesen Artikel lesen sollten:
Karate ist ein Sport, der viele Muskelgruppen anspricht und geistig fit hält. Er ist gerade auch im Alter sinnvoll, da er Beweglichkeit und Reaktionsvermögen trainiert und einen zudem selbstsicherer auftreten lässt.
Inhaltsverzeichis
Wie kaum ein anderer Sport ist die Vorstellung von Karate durch Filme geprägt. Wir haben Menschen vor dem inneren Auge, die mit bloßer Hand Ziegelsteine zertrümmern, andere durch das Zimmer treten können oder à la Jean-Claude van Damme einen Spagat zwischen zwei Stühlen hinlegen. Das sind beeindruckende Bilder, ohne Zweifel. Bilder allerdings, die mit der Realität dieser japanischen Kampfkunst nur wenig zu tun haben. Diese ist geprägt von regelmäßigem Training, einem Respekt vor den Traditionen dieser Sportart und vor dem Gegenüber. Wer sich nur ein bisschen prügeln möchte, ist hier völlig verkehrt. Tatsächlich wird bei Karate Wert darauf gelegt, dass sich niemand verletzt, Vollkontakt ist bei den meisten Variationen des Sports verboten. Je nach Technik und Ziel wird nur leicht berührt oder vorzeitig abgestoppt. Natürlich: Unfälle können geschehen – aus Unachtsamkeit oder wenn ein Angriff mal danebengeht. Ziel des Trainings ist es jedoch, die eigene Körperbeherrschung derart zu perfektionieren, dass dies eine absolute Ausnahme bleibt.
Bewegungsabläufe trainieren
Überhaupt sind Kämpfe nur ein Element unter mehreren bei Karate. Genauer gibt es drei wichtige Schwerpunkte im Training, die oft als „Säulen“ bezeichnet werden. Die erste ist die sogenannte Grundschule, auch Kihon genannt. Dabei werden einzelne Techniken wiederholt, ob nun Faust oder Bein, Angriff oder Verteidigung. Viele Male, schließlich ist das die Grundlage, auf der alles aufbaut. Dabei geht es nicht allein darum, den Ablauf zu lernen, sondern diesen zu verfeinern und zu perfektionieren. Das ist nicht nur die Aufgabe von Neulingen. Auch Schwarzgurte üben regelmäßig Grundtechniken, geht es bei dem Sport doch darum, sein Leben lang zu lernen, selbst im Alter.
Diese Techniken kommen bei den beiden anderen Säulen zum Einsatz. Da sind die Katas, fest vorgeschriebene Choreografien, bei denen die unterschiedlichsten Techniken kombiniert werden. Die dritte Säule ist das Kumite, das Training mit einem Partner bzw. einer Partnerin. Dabei gibt es eine große Bandbreite von fest einstudierten Angriffs- und Abwehrmustern bis zu einem Freikampf, in dem die Karateka selbst entscheiden, welche Technik sie anwenden.
Karate als Selbstverteidigung
Ein Grund für viele, einen Kampfsport zu erlernen, ist der Wunsch, sich selbst verteidigen zu können. Tatsächlich bedeutet der Name übersetzt „leere Hand“. Auf diese Weise lernt man, sich behaupten zu können, falls man angegriffen wird. Und das gerade auch im Alter: Wenn ältere Menschen Ziel von Aggressionen werden, dann geschieht das aus der Annahme heraus, ein leichtes Opfer gefunden zu haben. Das erlaubt es, das Überraschungsmoment zu nutzen und notfalls zum Gegenangriff überzugehen, mit dem die angreifende Person nicht rechnet. Das Karatetraining vermittelt nicht nur die notwendigen Verteidigungstechniken, sondern verbessert auch die Reaktionsfähigkeit. Was tue ich, wenn mich jemand attackiert? Wie kann ich einen Schlag effizient abwehren?
Mit zunehmender Erfahrung verinnerlicht man solche Punkte und muss im Ernstfall nicht mehr überlegen. Das führt auch zu einem größeren Selbstwertgefühl. Wer weiß, dass er im Alltag nicht hilflos ist, tritt anderen gegenüber deutlich selbstbewusster auf.
Video: Karate-Basisübungen
Lust auf ein kleines Mitmach-Training und die 5 Grundtechniken bei Karate? Dann viel Spaß dabei.
Training für Kopf und Geist
Karate ist in vielerlei Hinsicht eine Kopfsache. Da ist das Einprägen der Techniken und Bewegungsabläufe, bei denen das Gedächtnis mitarbeiten muss. Die Aufmerksamkeit wird trainiert, Konzentration ist bei einer Kampfkunst Pflicht. Gleichzeitig hilft der Sport ungemein, den eigenen Kopf freizubekommen. Wenn sich zu Beginn des Trainings alle vor dem Sensei hinknien, also dem Leiter oder der Leiterin, oder bei der Grundschule immer wieder dieselben Bewegungen durchführen, dann hat das auch etwas Meditatives und hilft sehr, seine innere Harmonie zu finden. Das bedeutet aber nicht, dass der Körper nicht auch beansprucht wird. Karate spricht viele Muskelgruppen an, je nach Technik und Tätigkeit. Beispielsweise werden die Beinmuskeln sehr gefördert, da man oft in einer Haltung mit leicht gebeugten Knien steht. Das verhilft zu einem festeren, sicheren Stand, was gerade auch im Alter von Bedeutung ist. Ergänzend stehen beim Karatetraining auch Ausdauer und Beweglichkeit auf dem Programm. Tatsächlich ist es Pflicht, sich vor dem eigentlichen Training aufzuwärmen und zu dehnen.
Karate: (k)eine Frage des Alters
Beim Karate gibt es keine Altersgrenze. Wenn man Karate jung beginnt, hat der Körper natürlich noch das größte Potenzial. Doch immer mehr Vereine bieten spezielles Seniorentraining an. Wer jenseits der 60 das erste Mal einen Dōjō betritt, so der Name des Trainingsraums, sollte sich keine Illusionen darüber machen, noch an großen Wettkämpfen teilzunehmen. Aber das muss auch nicht sein. Obwohl Karate mit Traditionen und festen Abläufen arbeitet, handelt es sich um einen sehr individuellen Sport. Da es – außer bei Wettkämpfen – kein Gewinnen im eigentlichen Sinn gibt, fordert Karate dazu auf, eigene Grenzen zu suchen. Das zeigt sich beispielsweise an den Gürtelfarben von weiß (9. Kyū) bis braun (1. Kyū), die den persönlichen Fortschritt festhalten. Sicher träumen viele davon, sich irgendwann einen schwarzen Gürtel (1. Dan) umbinden zu dürfen. Aber Karate betreibt man nicht, um vor anderen damit anzugeben, sondern für sich selbst. Vielmehr geht es darum, seinen eigenen Weg zu finden, unterstützt von den Trainern und Trainerinnen, die einen behutsam an die eigene Grenze heranführen.
Was braucht es beim Karate?
Das Gute an dieser Sportart ist, dass sie sich sehr leicht in den Alltag integrieren lässt. Man braucht nur einen Karateanzug (Gi) mit dem Gürtel (Obi), allenfalls bei fortgeschrittenem Können etwas Ausrüstung, um den Körper zu schützen. Viele der Trainingselemente kann man auch zu Hause üben, ob Fausthiebe, Tritte oder eine der Choreografien. Tatsächlich wird man auch dazu ermuntert, sich regelmäßig damit zu beschäftigen, Abläufe zu perfektionieren und alles immer weiter zu verinnerlichen. Bei Karate ist wirklich der Weg das Ziel, die Freude an der Beschäftigung mit dem eigenen Körper, die Suche nach einem Ausgleich. Es ist eine Art Lebenseinstellung. Denn auch wenn man irgendwann die Techniken im Prinzip beherrscht, das Lernen hört nie auf. Bis ins hohe Alter gleicht dieser Kampfsport einer Entdeckungsreise, auf der man sich selbst immer besser kennenlernt und neu erfährt. Außerdem macht das gemeinsame Training mit Gleichgesinnten im Verein viel Spaß und bietet Möglichkeiten für neue Kontakte, die gerade für ältere Semester so wichtig sind.
Zum Autor: Oliver Armknecht arbeitet seit 2008 als freiberuflicher Autor. Er hat selbst jahrelang mehrfach pro Woche Karate gemacht und trägt den braunen Gürtel (1. Kyū).
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