Shinrin Yoku, die Waldmedizin
In Japan ist es Wissenschaft, bei uns ist Shinrin Yoku jetzt Trend: Waldbaden! Killerzellen nehmen zu, Stresshormone ab, denn diese Waldtherapie entschleunigt mit allen Sinnen.
Text: Karen Cop
Shinrin Yoku: Eintauchen und waldbaden
Allein schon dieses Licht, das von hoch oben durch Baumwipfel fällt und das Moos erleuchtet! Dazu die besondere Stille, nur manchmal ein Rascheln, Geräusche – von welchem Tier? Flechten, Farne, Pilze und Beeren sind zu entdecken. Und warum fühlt es sich so gut und vertraut an, über den weichen Boden zu laufen, die Wärme eines Baumstammes zu spüren, sich an ihn zu lehnen, über Rinde und Holz zu streichen?
Abertausende von Jahren sind Menschen durch Wälder gestreift, suchten und fanden zwischen Bäumen Nahrung und ihren Lebensraum. Kein Wunder also, dass dieses Eintauchen in die besondere Atmosphäre des Waldes wieder Trend ist! Dass wir nun aber auch genau wissen, wie erhol- und heilsam es wirkt, im Wald zu sein, verdanken wir japanischen Wissenschaftlern.
Waldmedizin für mehr Killerzellen
Die Bezeichnung „Shinrin Yoku“ prägte Anfang der 1980er das japanische Ministerium für Land-, Forstwirtschaft und Fischerei. Es sollte gestresste Arbeitende auffordern, mehr raus in die Natur zu gehen und in der Atmosphäre des Waldes zu „baden“. Wenige Jahre später wurde daraus ein anerkanntes Forschungsgebiet.
Yoshifumi Miyazaki , Professor und Direktor des Zentrums für Umwelt, Gesundheit und Feldforschung an der Universität Chiba, entdeckte schon als Junge die wohltuende Wirkung der Natur. „Mein Vater war ein Pflanzennarr und ich durfte ihm im Garten immer helfen, etwa beim Umsetzen von Bäumen. Ich weiß noch, dass ich immer darüber staunte, wie entspannt mein Körper war, wenn er Erde, Blumen und Bäume um sich hatte“, schreibt er in einem seiner Bücher.
1990 zeigte Miyazaki in einer Feldstudie, wie sich nach längeren Aufenthalten im Wald die Zahl der Stresshormone signifikant reduzierte. Seitdem ist Shinrin Yoku ein anerkanntes Forschungsgebiet in der Wissenschaft, in dem mehrere Wissenschaftler arbeiten. Prominent wurde auch Dr. Qing Li, der entdeckte, dass sogenannte Terpene, Botenstoffe der Bäume, das Immunsystem stärken und die Anzahl der Killerzellen sich bei einem längeren Aufenthalt im Wald um bis zu 40 % vermehren.
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Hier erzählt Dr. Qing Li mehr über die Ursprünge und Wirkungen von Shinrin Yoku:
Entschleunigen bei der Waldtherapie
Inzwischen wird auch in Deutschland die heilsame Wirkung des Waldes erforscht und genutzt: An der Berliner Charité zeigte sich, dass er wie ein Beruhigungsmittel auf das Gehirn wirkt. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung entwickelte ein Waldtrainingsprogramm für Bewohner in Pflegeeinrichtungen in 14 Bundesländern. Am Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München wird ein Kriterienkatalog für Kur- und Heilwälder nahe bayerischer Heilbäder und Kurorte entwickelt, die Waldtherapien anbieten wollen. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Im Grunde muss man nur „Waldbaden“ und „Kurse“ in das Suchfeld der Suchmaschine eingeben und findet meist gleich in der Nähe Angebote, die Waldtherapien anbieten und Medizin im grünen Bereich praktizieren. Sie können auch in von Shinrin-Yoku-Experten geführten Gruppen in den Wald aufbrechen, denn: Es gibt sogar Ausbildungen zum Waldbademeister. Die wissen auch, wo die schönsten Plätze zum Aufspannen von Hängematten zwischen den Bäumen sind, damit Körper und Geist entspannt auspendeln können mit Blick in die erhabenen Kronen der Bäume.
Heilwälder zum Durchatmen
Und dann? Atmen Sie tief die heilsame Waldluft ein, die die Atemorgane und ihre Schleimhäute sanft befeuchtet und viel mehr Sauerstoff enthält als in den Städten. Die Nase entdeckt den würzigen Duft ätherischer Öle der Bäume, ihrer Nadeln und Harze. Manche sollen wie Bakterientöter und Insektizide wirken, z.B. von Fichten.
Viele Waldbadende legen sich einfach auf einen umgefallenen Baum. Andere schwören auf die Kombination der entschleunigenden Wirkung des Waldes mit der von Yoga. Sie tanken offenen Auges das funkelnde Licht. Dann schließen sie die Augen, um das Waldlicht in ihrem Inneren weiterleuchten zu lassen, während sie die Waldluft tief und langsam einatmen, um die Lunge und den Bauch zu füllen. Den Atem anhalten, langsam wieder ausatmen – Pranayama.
Auf zum Waldspaziergang
Entschleunigung, langsam werden beim Eintritt in den Wald, achtsam sein und bewusst in den Wald eintauchen, das ist natürlich auch bei einem Waldspaziergang möglich. Dabei nicht schwatzend oder schnell zwischen den Bäumen laufen, sondern so, dass selbst Ameisen zu sehen sind, kraftvoll Nadeln tragend, so groß wie kleine Bäume für uns. Atmen Sie tief durch, spüren Sie nach, wie alle Sinne sich erholen, entspannen und wir wieder ein Gefühl für uns selbst entwickeln können. Im Wald wieder bei sich ankommen – das kann auch jeder für sich erleben, ganz ohne Kurs.
Zur Autorin: Karen Cop war mal Pfadfinderin und weiß genau: Dickes Moos ist ein herrlich weicher Untergrund, um stundenlang entspannt in Baumkronen zu schauen – auch zu zweit.
Stand: Juni 2022
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