Modern Food
Was ist dran an diesen Foodtrends? Sind alle wirklich so gesund? Im Einzelnen betrachten wir Açai-Bowls, Spirulina-Algen, Goji-Beeren, Chia‐Samen, Saftkuren und suchen Studien, ob vegetarische und vegane Ernährung wirklich gesünder sind.
Text: Karen Cop
Low Fat, Low Carb, Raw oder Paleo? Proteine in Pulverform, gegrillte Insekten oder im Labor gezüchtetes Essen wie künstliches Fleisch mit individuell zugeschnittenen Inhaltsstoffen? Manch Foodtrend ist schon von gestern, der andere Zukunft, allen gemeinsam, dass er gesund sein soll, das heißt die Immunabwehr stärkend, Herz-Kreislauf entlastend, nährstoffreich, Tierwohl und Klima schützend … „Das Gros der aktuellen Ernährungstrends lässt vermuten, dass sie eine von vielen Ausdrucksformen dafür sind, dass das Zeitalter der Gesundheit als zentraler Motor wirtschaftlicher Entwicklung angebrochen ist“, resümiert Dr. Gesa Schönberger von der Dr. Rainer Wild-Stiftung beim Heidelberger Ernährungsforum. Prof. Dr. Rainer Wild gründete die gemeinnützige Stiftung, weil „viele Krankheiten auf eine falsche Ernährung zurückzuführen sind“.
Aber was ist wirklich gesund und was schafft nur neue Ernährungsmythen? Wie den, dass Kohlenhydrate dick machen. Die Studienlage zu aktuellen Foodtrends zeigt sich relativ dünn. Unumstritten scheint nur, dass die mediterrane Küche eine gesundheitsfördernde Wirkung besitzt. Das haben Dr. Benjamin Seethaler und Prof. Dr. Stephan C. Bischoff von der Universität Hohenheim in Stuttgart in ihren Studien nachgewiesen: Sie schützt demnach aktiv vor Herzinfarkt, Arteriosklerose, Krebs und Diabetes.
Trend, aber gut? Bowls mit Açai, Chia, Goji…
Superfoods werden Obst oder Gemüse genannt, die besonders reich an Nährstoffen sind: Açaibeeren an Antioxidantien, Mineralien und Vitaminen, Gojibeeren sollen dazu Haut und Haare pflegen. Beide Exoten werden als Wunderfrüchte gepriesen, sollen vor Krebs schützen und werden vom Handel getrocknet, als Extrakt oder in Pulverform angeboten. Zu Recht? „Superfoodprodukte sind oft nicht hinreichend untersucht, um sie gesundheitlich bewerten zu können“, sagt der Präsident des Bundesverbands für Risikobewertung, Professor Dr. Dr. Andreas Hensel. Fest steht aber: Beeren mit guten Eigenschaften für die Gesundheit müssen nicht aus fernen Ländern kommen, auch heimische Heidelbeeren sind voller gesunder Pflanzenstoffe. Vor den wegen ihres hohen Anteils an ungesättigten Omega-3-Fettsäuren und Vitamin E gepriesenen Chiasamen wurde auch schon aufgrund der Schimmelpilze gewarnt, die sich auf ihrer langen Reise aus China vermehrt haben. Stattdessen könnte man Leinsamen essen, die noch mehr wertvolle Fettsäuren und Proteine enthalten als Chia.
Spirulina und Co.: Wie gesund sind Algen?
Sie heißen Chlorella, Spirulina, Kombu oder Nori und sind nur vier von über 500 bekanntermaßen essbaren Algenarten. Manche wurden durch die japanische Sushiküche längst Teil unserer Ernährungsweise, andere sind neu in aller Munde wie Mikroalgenöl. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Algen Menschen, die keinen Fisch essen können oder wollen, weil sie die langkettigen Omega-3-Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) enthalten. Kinder brauchen diese lebenswichtigen Fettsäuren für ihr Wachstum und die Entwicklung ihres Gehirns, alle brauchen sie für den Fettstoffwechsel, Blutdruck und die Blutgerinnung und vieles andere. Unser Körper kann diese nicht selbst bilden. Spirulina und Chlorella stecken auch voll B12. Nur leider können wir das „Nervenvitamin“ aus den Algen kaum aufnehmen. Vor allem getrocknete Algen haben leider auch einen sehr hohen Jodgehalt. Die Lebensmittelüberwachung der Bundesländer fand bis zu 6.500 mg pro Kilo; mehr als 20 mg gelten als gesundheitsschädigend. Die DGE rät daher zu höchstens einem Gramm täglich und warnt zudem Schwangere und Stillende vor Schwermetallen in Algen, da sie das Baby schädigen könnten.
Ist vegane, also pflanzenbasierte Ernährung wirklich gesünder?
Kennen Sie die „China Study“ von Prof. T. Colin Campbell und seinem Sohn? Sie gilt als Veganerbibel. Grundlage ist eine Untersuchung von 6.500 Chinesen in den 1970er- und -1980er-Jahren. Sie zeigt den Zusammenhang zwischen dem Verzehr von tierischen Produkten und vielen Zivilisationskrankheiten im Gegensatz zu einer pflanzenbasierten Ernährung. Seitdem ist vegan Trend und boomt. Neue Daten von elf Studien bei 66.000 Probanden bestätigen, dass eine tierproduktfreie Ernährung gesünder sein kann, zum Beispiel bei erhöhten Cholesterinwerten. Veganer:innen sind im Schnitt auch schlanker, vielleicht weil pflanzliche Gerichte meist weniger Kalorien enthalten als tierische bei gleich großen Portionen. Andererseits steigt das Risiko eines Vitamin-B12-Mangels, das fast nur in tierischen Lebensmitteln vorkommt. DGE: „Eine ausreichende Vitamin-B12-Versorgung ist nach derzeitigem Kenntnisstand bei veganer Ernährung nur durch die Einnahme von Nährstoffpräparaten möglich.“ Die Ergebnisse einer Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) wies zudem auf eine geringere Knochengesundheit hin. Die Studie war mit 36 Personen jedoch sehr klein.
Trinken statt essen? Saftfasten und Powersmoothies
Heilfasten mit Gemüsesäften und -brühe dient traditionell zur körperlichen und seelischen Reinigung in der Fastenzeit. Es soll fünf bis höchstens dreißig Tage dauern, damit kein Nährstoffmangel entsteht, der die Organe dauerhaft schädigen kann. Die Fastenkur sollte ärztlich begleitet werden, denn der Verzicht auf feste Nahrung stresst den Körper. Eigentlich braucht nur, wer akute oder chronische Verdauungsprobleme hat, eine speziell mit Nährstoffen angereicherte Trinknahrung.
Saftfasten ist mit einem Smoothie zwischendurch oder einem Smoothietag natürlich nicht zu vergleichen. Mit gesunden Smoothies meinen die Ernährungsexperten jedoch nicht die fertig abgefüllten Smoothies aus dem Supermarktregal. Bei der Produktion gehen viele Nährstoffe verloren. Ein DGE-Test ergab: „Nicht in allen Smoothies war Vitamin C überhaupt nachweisbar, in anderen wenig.“ Fertige Smoothies enthalten öfter Fruchtsaft oder -konzentrat und zugesetzten Zucker. Am besten frisch gewaschenes Gemüse und weniger Obst (Achtung, Fruchtzucker!) mit Schale pürieren, denn darin stecken wertvolle Ballast- und Nährstoffe. Damit der Körper sie alle aufnehmen kann, einen Schuss kalt gepresstes Pflanzenöl zugeben.
Clean Eating: vollwertig essen
„Clean Eating“ klingt cool, ist aber nur das US-Wort für die alte Vollwerternährung: keine industriell verarbeiteten Lebensmittel, keine Konservierungsstoffe, keinen Zucker, alles so naturbelassen und frisch wie möglich. Ausgemahlener Weizen wird durch Vollkorn ersetzt, zum Beispiel Dinkelvollkornspaghetti, Brote möglichst selbst gebacken, Nüsse pur gesnackt, Hülsenfrüchte und Pseudogetreide wie Hirse und Quinoa kommen auf den Speiseplan. Wenn das alles auch noch in Bioqualität gegessen wird, ist hier von einer sehr hochwertigen Ernährung die Rede. Zumal viele komplexe Kohlenhydrate enthalten sind, denn die sind etwa für den Stoffwechsel und unser Gehirn lebensnotwendig. Komplexe Kohlenhydrate sättigen anhaltend, weil sie unseren Organismus über viele Stunden mit Energie versorgen. Aus Vollkornprodukten, Kartoffeln und frischem Gemüse in normalen Portionen machen sie deshalb nicht so schnell dick wie einfache Kohlenhydrate aus Fertigprodukten, die schnell Energie liefern und damit bald wieder für Hungersignale sorgen.
Manche Clean Eater gehen besonders puristisch ans Essen. Dann gibt es beispielsweise einen gedünsteten Brokkoli mit etwas Salz und Pflanzenöl. Auch mal lecker! Hauptsache, bei der nächsten Mahlzeit kommt etwas anderes auf den Tisch.
„Statt Chia könnte man Leinsamen essen, die noch mehr wertvolle Fettsäuren und Proteine enthalten.“
Eat the Rainbow!
Prof. Dr. Markus Keller ist wissenschaftlicher Leiter des Forschungsinstituts für pflanzenbasierte Ernährung (IFPE) in Biebertal/Gießen und der weltweit erste Professor für vegane Ernährung. In diesem Film erklärt er, was alles zu einer abwechslungsreichen, aber auch pflanzenbasierten Ernährung gehört.
Zur Autorin: Karen Cop ist als Journalistin berufsneugierig. Sie schiebt auch alles in den Mund, was neu ist und lecker aussieht. Derzeit schleckt sie sich durch eine neu eröffnete vegane Eisdiele um die Ecke. Bei grauem Eis musste sie sich etwas überwinden, aber was nach Feinstaub aussah, war schwarzes Sesameis, super cremig und nussig.
Stand: Oktober 2023
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