Mindful Running
Wer läuft, will sich körperlich fit halten. Doch auch der Geist darf mitmachen: Denn Mindful Running verbindet Achtsamkeit und Laufen.
Text: Oliver Armknecht
Wir kennen es alle: Unser Alltag ist eine einzige Reizüberflutung. Ständig geschieht etwas, müssen wir uns um etwas kümmern, werden wir von Nachrichten bombardiert. Da ist es umso wichtiger, dass wir uns Möglichkeiten schaffen, dem Ganzen zu entkommen und mal wieder ganz bei uns selbst zu sein. Viele treiben zu dem Zweck Sport, kaum etwas ist besser dazu geeignet, einfach mal abzuschalten und sich auf eine Sache zu konzentrieren. Der Geist kommt zur Ruhe, der Körper kann arbeiten, wir tun etwas Gutes für unsere Gesundheit und können uns im Anschluss gestärkt wieder dem Alltag widmen. Aus diesem Grund dürften einige erst einmal irritiert sein, wenn sie von Mindful Running erfahren. Schließlich soll dort der Geist aktiv mitarbeiten und aufmerksam wahrnehmen. Ein Laufen, bei dem es eben nicht darum geht abzuschalten, sondern achtsam zu sein, ist das nicht ein Widerspruch? Kommen da nicht zwei Tätigkeiten zusammen, die gar nicht zusammenpassen?
Was heißt Mindful Running?
Dafür muss natürlich erst einmal geklärt werden, was Achtsamkeit bedeutet. Und was es nicht bedeutet. So geht es nicht darum, wieder auf alle Details zu achten, die wir beim Laufen ja eigentlich ausblenden wollen. Im Gegenteil: Ablenkungen sollen vermieden werden. Das fängt schon damit an, dass wir das Handy mal zu Hause lassen. Überhaupt braucht es keine Technik, Smart Watches oder Schrittzähler haben hier nichts zu suchen. Wir wollen uns nicht messen und wollen nicht festhalten, welche Fortschritte wir machen. Auch Musik gibt es keine beim Mindful Running. Denn das führt dazu, dass wir mit dem Geist woanders sind. Stattdessen ist das Ziel, ganz im Moment und ganz bei sich zu sein. Das Laufen ist hier keine rein sportliche Angelegenheit, sondern wird zum Anlass genommen, wieder bewusst zu sehen, zu hören und zu fühlen.
Meditatives Laufen
Das klingt ein bisschen nach Meditation. Und tatsächlich gibt es bei beidem größere Überschneidungen. So geht es jeweils darum, im Einklang mit sich selbst zu sein und ein größeres Bewusstsein zu entwickeln. Beides hilft, Stress zu bewältigen und Anspannungen zu lösen. Der Unterschied: Hier geschieht das eben nicht in einer Ruheposition, sondern beim Laufen. Wie das am Ende aussehen kann, ist individuell sehr verschieden. So gibt es zwar viele Punkte, die man bei einem regulären Lauftraining berücksichtigen sollte, wenn man richtig laufen will. Beim Mindful Running gibt es aber zunächst kein Richtig und kein Falsch. Das Empfinden steht im Mittelpunkt, nicht dessen Bewertung. Wie fühlt es sich an, wenn meine Füße den Boden berühren? Was sehe ich, wenn ich diesen Weg entlanglaufe? Welche Geräusche nehme ich wahr?
Tipps für Mindful Running
Das ist grundsätzlich eine sehr persönliche Erfahrung, bei der einem niemand reinreden sollte. Das heißt aber nicht, dass man keine Tipps annehmen darf. Gerade wer neu beim Mindful Running ist, kann diese oft gut gebrauchen. Neben dem oben angesprochenen Verzicht auf mitgebrachte ablenkende Faktoren kann auch die Wahl der Laufstrecke die Erfolge beeinflussen. So sind beispielsweise Waldwege besser geeignet als überfüllte Bürgersteige. Klar: Wer auf rote Ampeln achten oder anderen Menschen ausweichen muss, dessen Aufmerksamkeit wird zu oft anderweitig in Anspruch genommen. Wer dennoch beim Laufen das Gefühl hat, dass der Geist zu oft woanders ist, sollte einmal versuchen, seine Achtsamkeit auf einzelne Aspekte zu fokussieren. Das können beispielsweise Körperpartien sein. Gerade die Füße bieten sich da an, weil sie ständig in Anspruch genommen werden. Das fängt schon vor dem Start an: in die Schuhe schlüpfen, das Hauses verlassen, der erste Schritt – all das ist mit Sinneswahrnehmungen verbunden, selbst wenn wir normalerweise nicht darauf achten.
Beim Laufen kommt es außerdem oft vor, dass der Untergrund gewechselt wird, was sich jedes Mal anders anfühlt. Auch die Geräusche, die wir unweigerlich beim Auftreten machen, fließen in diese Wahrnehmung mit ein.
Achtsames Atmen
Ein weiterer Fokus kann die Atmung sein. Auch hier kann das Training vor dem eigentlichen Laufen beginnen. Einfach mal einen Moment innehalten, bei geschlossenen Augen mehrfach tief ein- und ausatmen. Beim Laufen selbst spielt die Atmung natürlich auch eine große Rolle. Ruhiges, bewusstes Atmen ist immer Teil von Achtsamkeit. Hier gilt es jedoch aufzupassen, dass man nicht zu sehr versucht, das Atmen selbst zu beeinflussen und in bestimmte Bahnen zu lenken, wie es beim Sport oft ratsam ist. Schließlich geht es beim Mindful Running nicht darum, das Optimum herauszuholen und das Training möglichst effizient zu gestalten. Der Körper soll nicht geformt, sondern verstanden werden: Man hört wieder stärker darauf, wie es in einem selbst aussieht, was zu einer besseren Körperwahrnehmung verhilft. Dieses hält dann auch nach der Laufeinheit weiter an.
Laufen zur Stressbewältigung
Diese Achtsamkeitsübungen haben eine Reihe von Vorteilen für Körper und Geist. Neben der oben angesprochenen Verbesserung der eigenen Körperwahrnehmung hilft Mindful Running auch dabei, den im Alltag angesammelten Stress abzubauen. Von dem haben wir oft zu viel, wenn beruflich und privat ständig etwas los ist, das unsere Aufmerksamkeit beansprucht. Indem wir lernen, uns wieder auf einzelne Punkte zu fokussieren, kommen wir zur Ruhe und erhalten die Möglichkeit, wieder gelassener durch den Alltag zu gehen. Die Achtsamkeit und das Gefühl, ganz bei sich zu sein, sind etwas, das über die aktuelle Trainingseinheit hinaus Bestand hat.
Mindful Running ganz individuell
Natürlich geht das nicht von einem Tag zum nächsten. Muss es auch nicht: So individuell die Wahrnehmungen beim Laufen sind, so individuell ist auch der Fortschritt. Und so flexibel ist das Prinzip zu integrieren. Mindful Running gibt niemandem vor, wie das Ziel zu erreichen ist oder wie das Ziel genau aussieht. Es ist mehr eine Lebenseinstellung, die uns dabei hilft, uns von einem äußeren Druck zu lösen, und die daher allen offen steht. Ob Sportprofi oder absoluter Neuling, bei dieser äußeren wie inneren Entdeckungsreise können alle mitmachen und nach einem eigenen Weg suchen.
Zum Autor: Oliver Armknecht arbeitet seit 2008 als freiberuflicher Autor. Da er die meisten Strecken zu Fuß absolviert, hat er genügend Gelegenheiten, ständig etwas Neues zu entdecken – bei sich selbst wie drumherum.
Stand: Februar 2024
Das könnte Sie auch interessieren:
Artikel teilen auf