Was macht Familie aus?
Familie ist ein Netz, das Eltern und Kinder stützt und ein Gefühl der Geborgenheit gibt. Der Wunsch nach ihr ist groß, die Vielfalt ihrer Formen nimmt zu.
Text: Antoinette Schmelter-Kaiser
Die Vorfreude auf das Leben mit ihren Zwillingen war sehr groß, erinnert sich Heidy de Blum. Doch nach Geburt der beiden Babys wendete sich das Blatt. „Die ersten drei Jahre waren herausfordernd, vor allem das erste war sehr schwierig für mich“, so die Sozialpädagogin, der der Familienalltag über den Kopf wuchs und die unter Schlafmangel litt. Ihr Fazit: „Mama werden ist ein riesiger Umbruch im Leben einer Frau.“ Auch heute sei nicht alles rosig, die Hürde der Einschulung gerade genommen. Trotzdem fühlt sich Heidy de Blum „rundum glücklich mit meiner kleinen Familie. Sie ist ein Netz, das uns stützt und ein warmes, gutes Geborgenheitsgefühl gibt. Eine totale Bereicherung, an der ich wachsen kann.“
Viele Wege im Familienalltag
Um ihre Erfahrungen mit anderen Eltern zu teilen, leitet sie seit Anfang 2023 familylab Deutschland: eine Organisation, die Weiterbildungen für pädagogische Fachkräfte anbietet und eine Vermittlungsstelle für ExpertInnen ist. Sie beraten und begleiten bei Bedarf, weil es laut Heidy de Blum „nicht mehr nur den einen Weg gibt, sondern Elternteile tagtäglich entscheiden müssen, wie sie ihr Familienleben gestalten wollen.“ Oder um es mit dem dänischen Familientherapeuten Jesper Juul zu sagen, auf dessen Ideen familylab fußt: „Betrachten Sie Ihre Familie als neues und spannendes Projekt, dessen einzelne Teilnehmer nicht von vornherein bestens qualifiziert sind. Das Schlüsselwort heißt ,Beziehung‘. Ihre Qualität entscheidet über unser Wohlbefinden und unsere Entwicklung als Mensch.“
Besonderer Schutz für Familien
Hierzulande gibt es laut Statista 11,9 Millionen Familien mit ledigen Kindern im Haushalt; die Hälfte hat ein Kind, 4,4 Millionen haben zwei Kinder, 1,5 Millionen drei und mehr. Gesamtgesellschaftlich gesehen sind Familien als Keimzelle fundamental für den Fortbestand der Bevölkerung und stehen laut Grundgesetz „unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“. Ausdruck sind „erhebliche Investitionen in monetäre Leistungen wie Eltern- oder Kindergeld und Infrastrukturen von Kita bis Familienzentrum“, so Dr. Laura Castiglioni vom Deutschen Jugendinstitut. Für sich genommen fungieren Familien als Solidargemeinschaft, in der Eltern die Pflicht haben, sich um ihre Kinder zu kümmern. Dabei prägen und sozialisieren sie sie als enge Bezugspersonen mit Werten, Vorstellungen und Verhaltensweisen. Gleichzeitig bauen Familienmitglieder intensive emotionale Bindungen untereinander auf.
Von der Groß- zur Kleinfamilie
„Durch die Bindungsforschung ist das Bewusstsein gewachsen, wie wichtig Eltern-Kind-Beziehungen sind“, erklärt Dr. Laura Castiglioni. „Entsprechend aktiv und auf Augenhöhe ist Erziehung heute. Das hatten frühere Generationen nicht so auf dem Schirm.“ Über Jahrhunderte hinweg war Familie mit einem vorwiegend autoritär geprägten Machtgefälle eine Selbstverständlichkeit, die nicht hinterfragt wurde: erst in Form größerer Sippen, die meist ein männliches Oberhaupt hatten, seit dem 17. Jahrhundert als Kernfamilie mit Vater, Mutter und vielen Kindern. Bei Bauern und Handwerkern addierten sich in größeren Haushaltsfamilien Verwandte wie Großeltern, Tanten und Gesinde dazu. Das Klischee der klassischen Kleinfamilie mit zwei Generationen wurde vor allem in den 1950er-Jahren geprägt.
Vielfalt der Familienformen
Diese Familienform ist bei uns bis heute noch immer weit verbreitet: Die Mehrheit der Familien in Deutschland sind Ehepaare mit Kind(ern), rund 20 % sind Alleinerziehende. Und der Anteil von Lebensgemeinschaften unterschiedlichster Art nimmt kontinuierlich zu – von unverheirateten heterosexuellen und LGBTQI+-Paaren über Patchworkfamilien bis hin zu Adoptiv- und Pflegeeltern. Dazu kommen Co-Parenting-Modelle ohne Paarbeziehung. „Das Familienverständnis hat sich spürbar erweitert“, so Dr. Laura Castiglioni. „Dementsprechend müsste auch der Begriff Elternschaft neu gefasst und die faktische Elternrolle reflektiert werden. Es gibt Situationen, die rechtlich noch nicht ausreichend geregelt sind: zum Beispiel zwei Personen, die ein Kind von einer Leihmutter im Ausland bekommen haben. Alle Fälle von sozialer Elternschaft wie Stiefeltern oder Co-Parenting werden im Einzelfall geregelt und sind von einer grundsätzlichen Unsicherheit betroffen.“
Lernprozess im Miteinander
So vielfältig wie die Familienformen heutzutage sind auch die Möglichkeiten des Miteinanders in Familien. „Jede muss herausfinden, was sie braucht und stärkt“, so Heidy de Blum. „Das ist ein Lernprozess des Ausprobierens.“ Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass Eltern in herausfordernden Situationen ein Gefühl der Hilflosigkeit haben können. Gelangen sie an ihre Grenzen, sollten sich Mütter und Väter auch verletzlich zeigen – und kompetente Unterstützung suchen, falls sie allein nicht klarkommen. „Eltern haben eine große Verantwortung, weil uns die Herkunftsfamilie ein Leben lang beeinflusst“, sagt sie. „Das sollte aber keine Angst auslösen, Fehler zu machen. Idealbilder der eigenen Rolle können belasten und Druck aufbauen. Eltern machen es so gut, wie es ihnen möglich ist. Perfektion ist dabei nicht das Ziel.“
Gesund durch den Familienalltag
Auch Fragen rund um die Gesundheit fordern Eltern immer wieder heraus: "Entwickelt sich mein Kind gesund? Welche Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen sind wichtig? Wie sollen wir den Alltag organisieren, wenn das Kind krank wird? Oder wenn ich selber nicht mehr kann?" In diesen Situationen hat die BKK GILDEMEISTER SEIDENSTICKER die richtigen Antworten und lässt Sie nicht alleine. Dank umfangreicher Familienleistungen können Sie und Ihre Liebsten im Alltag auf unsere Unterstützung zählen.
Stabiler Wunsch nach Familie
Nicht nur die Sorge, hohen Erwartungen nicht zu genügen, kann zu einem Verzicht auf Familie führen. Angesichts der Klimakrise gibt es vermehrt junge Menschen, die ihren CO2-Fußabdruck reduzieren und dafür absichtlich kinderlos bleiben wollen, manche von ihnen tun das als Teil der „Birthstrike“-Bewegung. Doch das Gros wünscht sich weiterhin eine eigene Familie. „Der Anteil ist laut Studien mit rund 70 Prozent über die letzten 15 Jahre recht stabil geblieben“, so Dr. Laura Castiglioni. Familie wird nach ihrer Einschätzung weiterhin wichtig bleiben und ihre Pluralität zunehmen, wobei die „traditionelle Variante“ mit Mutter, Vater und Kind(ern) – zunehmend unverheiratet – laut Dr. Laura Castiglioni „noch lange“ überwiegen wird. „Jeder kann ganz nach Gusto eine Familie gründen“, blickt die Expertin in die Zukunft. Familie ist also kein Auslaufmodell, sondern bleibt ein beliebter Dauerbrenner.
Video
Checker Tobi berichtet über alles, was Familien verbindet, und über unterschiedlichste Familienformen – egal ob Großfamilie, Patchworkkonstellation, Alltag mit getrennten Eltern oder zwei Müttern.
Lektüretipps
Sachbücher, ein Kartenspiel und Internetseiten, die das Familienleben in unterschiedlichsten Phasen oder Formen erleichtern und angenehmer machen.
„5 Grundsteine für Familien“ von Jesper Juul (Penguin)
Bestseller von einem der bekanntesten und innovativsten Familientherapeuten Europas als Taschenbuchausgabe. Hier erklärt Jesper Juul, wie Erziehung funktioniert und wie gleichwürdige Beziehungen gelingen.
„Miteinander leben“ von Nicole Wilhelm (edition + plus)
Plädoyer an Eltern, ihren eigenen Weg zu finden, der zu ihnen und ihrer Familie passt. Geschichten und Beispiele helfen dabei, das eigene Verhalten zu reflektieren, zu verändern und mit Kindern zu kooperieren.
„Krisenfest. Dein Familien-Kompass für stürmische Zeiten“ von Romy Winter (Kösel)
Ratgeber auf Basis der neuesten Resilienzforschung mit praktischen Tipps, die Eltern und ihre Kinder auch in schwierigen Phasen stark fürs Leben sowie einen bewussteren Alltag machen.
„Ach, das ist Familie?!“ von Britta Kiwit und Emily Claire Völker (EMF)
Kindgerechtes Aufklärungsbuch mit Vorlesetexten und Informationen über die Vielfalt moderner Familienkonstellationen, die von Alleinerziehenden über Patchwork bis LGBTQI+ reichen.
„Sag mal, Familie!“ von Elma van Vliet
Unterhaltsames Fragespiel mit 100 Karten für Familien, Eltern und Kinder, das ihnen hilft, sich sowohl besser kennenzulernen als auch neue Seiten aneinander zu entdecken. Ziel des Konversationsspiels ist, einander noch näherzukommen.
Bundesministerium für Familie
Internetportal des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit Informationen zu Chancen und Teilhabe für Familien – egal ob Stärkung der Elternkompetenz, Erziehung, Förderung oder partnerschaftliche Betreuung nach Trennung.
Familienportal.de
Internetportal des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit Auskünften zu finanziellen Familienleistungen und Lebenslagen von Kinderwunsch über Schwangerschaft und Geburt bis hin zu Krisen und Konflikten. Praktisch sind integrierte Rechner z. B. für Elterngeld sowie Antragsformulare zum Herunterladen.
Familienhandbuch.de
Onlinehandbuch des Staatsinstituts für Frühpädagogik und Medienkompetenz mit übersichtlich strukturierten Infoartikeln – angefangen bei der Familienplanung über die wichtigsten Entwicklungsphasen ab der Geburt eines Kindes und das Familienleben mit ihm bis zu Bildungs- und Beratungsangeboten und finanziellen Hilfen.
Familylab.de
Artikel, Video und Podcasts zu Themen, die Familien beschäftigen, z.B. Kindersorgen, Trotzstrategien, Trennungskinder oder Geschwisterkonflikte. Außerdem finden sich Links zu familylab-FamilienberaterInnen, die unterstützen können, wenn Machtkämpfe mit ihren Kindern Mütter und Väter herausfordern oder es Uneinigkeiten auf Paarebene gibt.
Sesk.de
Website des Kinderschutzbundes, der mit seinem Elternkurs „Starke Eltern – Starke Kinder“ Mütter und Väter deutschlandweit dabei unterstützen möchte, ihren Alltag selbstbewusster und gelassener anzugehen sowie ihre Kinder gewaltfrei und mit Respekt zu erziehen. Ein wichtiger Bestandteil des Kurses ist der Austausch von Eltern untereinander.
Bke-Beratung.de
Onlineangebot der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, bei dem sich Jugendliche und Eltern in zwei eigenen Bereichen anonym und kostenfrei mit ausgebildeten Fachkräften rund um persönliche Probleme und Fragen austauschen können. Antworten auf erste Fragen gibt es auch ohne Anmeldung in einem Live-Chat.
Zur Autorin: Antoinette Schmelter-Kaiser hat vier ältere Geschwister, zehn Nichten und Neffen, 15 Großneffen und -nichten, eine eigene Tochter sowie fünf Stiefkinder von ihrem zweiten Mann. (Groß-)Familie ist in ihrem Leben eine wichtige Konstante, gute Freunde sind es aber auch.
Stand: Februar 2024
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