So ’ne Haut hat ja auch Gefühle!
Manchmal möchte man einfach nur aus der Haut fahren. Aber wenn man mal genau darüber nachdenkt, ist das doch keine so gute Idee.
Text: Barbara Lang
Wenn es über eine Körperregion viele Sprichwörter und Redewendungen gibt, hat sie wohl einen hohen Stellenwert. Bei der Haut ist das ganz bestimmt der Fall: Du bist eine ehrliche Haut. Ich liege gerne auf der faulen Haut. Der Film geht unter die Haut. Jemand fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren.
Letzteres kenne ich recht gut. Als eher impulsiver Mensch bin ich am Verzweifeln, wenn Dinge nicht so klappen, wie ich will, oder wenn hitzige Debatten in eine Sackgasse geraten. Zudem bin ich Allergikerin. Da trifft sich gerne mal eine Histamin-Ansammlung rund um meine Augen zur Juckparty: Meine Glupscher schwellen an, werden elefantenhautig und rot und ich möchte sie mir einfach nur auskratzen. In all diesen Situationen überkommt mich so ein hilfloses Arrrrgrrrrrr-Gefühl. Kennen Sie das?
Einmal aus der Haut fahren und zurück
Wie schön wäre es, dann vorübergehend mal aus der Haut zu fahren? Tschö ihr kleinen Nervensägen des Alltags, ich bin dann mal weg. Wusch! Leider habe ich noch keine Technik gefunden, die es mir ermöglicht, aus meiner Haut heraus und in sie hineinzuschlüpfen, wie es mir beliebt. In oben genannten Situationen bleibt mir also vorerst nur die suboptimale Rumpelstilzchen-Lösung: lautes Fluchen, stampfende Füße und durch die Luft fuchtelnde Fäuste.
Gedanken hautnah
Aber wenn ich ehrlich bin: Wohin wollte ich denn auch fahren – so hautlos? Schutzlos. In eine andere Haut, aus der jemand anders herausgefahren ist? Das würde sicher nur Probleme machen: Sie wäre zu groß oder zu eng, würde merkwürdig riechen und sich buchstäblich wie ein Fremdkörper anfühlen.
„Oft führ man gern aus seiner Haut. Doch wie man forschend um sich schaut, erblickt man ringsum lauter Häute, in die zu fahren auch nicht freute.“
Eugen Roth
Das Gedankenspiel lässt mich trotzdem nicht los. Denn es gibt eine weitere Lebensszene, in der ich regelmäßig über das Aus-der-Haut-Fahren nachdenke. Und die geht so: Ich stehe vor dem Spiegel und das unvorteilhafteste aller Nachmittagslichter führt mir erbarmungslos jede einzelne Falte in meinem Gesicht vor Augen. Dann denke ich: Man müsste sich häuten könnte wie eine Schlange. Ein bisschen mühen, winden und herumrobben und „Plopp!“ hat man wieder frische, pralle Babyhaut.
Häuten ist auch keine Lösung
Wie wäre das: eine dekadenweise Rundumerneuerung? Nur äußerlich. Hm … ich wittere einen Konflikt: Innen bleibt alles beim Alten – ich bleibe die Alte. Ich denke an all die Menschen, die ihre Haut polstern, glätten, botoxen, mit Schnipp und Schnapp wieder upgraden lassen. Fühlt sich das nicht unauthentisch an, wenn Innen und Außen nicht mehr auf demselben Level sind? Und so ’ne Haut hat doch auch irgendwie Gefühle.
Meine gute alte Haut (oder sagen wir: mittelalte) – plötzlich ist sie mir ganz vertraut und lieb und – ja – so nah! Wie eine lebenslange Freundin hat sie mich begleitet, hat Pubertätspickel überwunden, klaglos jugendliche Schminkexzesse und unzählige Barfußtage überstanden, hat Wind, Wasser, Sand und Sonne auf allen möglichen Kontinenten gespürt, hat mit Pheromonen Partner angezogen, hat Liebkosungen genossen, hat sich unfassbar weit gedehnt, damit mein Kind unter ihr geschützt heranwachsen kann, und sich danach sogar wieder ansehnlich zusammengezogen. Diese Haut ist ein Wunderwerk! Wie sollte ich sie je verlassen wollen?
Liebst du deine Haut, liebst du dich
Da fällt mir Julia Roberts ein, die in einem Interview erzählte, dass sie von ihrem Hautarzt einmal gefragt wurde, ob er ihr die Lachfalten unterspritzen solle. Nach irritiertem Nachfragen antwortete sie: „Auffüllen? Wissen Sie, wie viele gute Geschichten darin stecken? Wie viele gute Lacher? Wie viele tolle Dinnerpartys? Sie auffüllen? Das sind 20 Jahre glückliche Ehe. Das füllen wir nicht auf.“
Nun sind die meisten von uns zwar nicht Julia Roberts und verfügen auch nicht nur über Lachfalten, aber dennoch möchte ich ein Plädoyer für mehr Julia-Haltung aussprechen: Die Unebenheiten unserer Haut haben sich auch in schlaflosen und sorgenvollen Nächten gebildet. Viele verschiedene Emotionen haben sie geformt. Unzählige Tränen sind über sie gelaufen. Und unsere Narben – sie sind Andenken an schmerzhafte Erlebnisse. Kurz: Unsere Hülle ist ein hautgewordenes Erinnerungsalbum. Und mehr als ein „Spiegel unserer Seele“, wie man sagt. Sie ist ein Spiegel unseres Lebens! Und aus dem wollen wir doch wirklich nicht so hoppla-hopp herausfahren, oder?
Zur Autorin: Mittlerweile möchte Barbara Lang doch mal aus ihrer Haut fahren. Und würde dann in Häute verschiedener Tiere schlüpfen, die noch mehr können: die Farbe wechseln, Stacheln ausfahren, Giftstoffe absondern, leuchten und schillern oder Insekten verwirren. Cool!
Stand: April 2024
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