Familie

Früher Verlust: Sternenkinder

Sie sterben vor, bei oder kurz nach der Geburt: Sternenkinder sind nicht lebensfähig, ihre Eltern brauchen Raum zum Trauern und Hilfsangebote.

Warum Sie diesen Artikel lesen sollten:

Erst Vorfreude, dann Trauer: Eltern von Sternenkindern gehen einen schweren Weg. Ihren Schmerz können sie mit anderen Betroffenen und Trauerbegleitern teilen.

Inhaltsverzeichnis

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17 Wochen verlief die Schwangerschaft von Stefanie Gebers problemlos. Doch dann hatte sie vollkommen unvorbereitet einen Blasensprung; in der Klinik musste die Geburt ihres Sohnes eingeleitet werden, der tot zur Welt kam. „Er sah aus wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen“, erinnert sich die heute 42-Jährige. „Ohren, Nase, Finger: Alles war schon da und hätte nur noch wachsen müssen. Aber so früh hatte Ben keine Chance.“ Fassungslos hielt sie mit ihrem Mann und ihrer Mutter seinen winzigen Körper, der ihnen eingewickelt in einer Decke gebracht wurde. Unter Schock fuhren sie ohne ihn heim, weil Ben von einem Bestatter abgeholt und beigesetzt wurde.

Begleitung bei würdigen Entbindungen

Der große Verlustschmerz von damals ist für Stefanie Gebers unvergessen, genauso wie ihre Hilflosigkeit und die Enttäuschung, in der Klinik „null Aufklärung“ bekommen zu haben. Als eine Bekannte vier Wochen später auch ihr Baby verlor, stand sie dieser aufgrund der eigenen Erfahrungen erstmals als Akutbegleitung zur Seite. Ein Jahr später gründete sie eine Selbsthilfegruppe, 2018 den Verein Sterneneltern Achim e.V. Er bietet Betroffenen einen geschützten Raum für Information, Austausch und Trost. Außerdem schult und sensibilisiert er Fachpersonal für die zugewandte Begleitung von Familien bei möglichst würdigen Sternenkind-Entbindungen und die Zeit danach.

Fehlgeburten nur teilweise erfasst

Vor, bei oder kurz nach der Geburt ein sogenanntes Sternenkind zu verlieren: Das ist kein Einzelschicksal – auch wenn sich viele Eltern laut Stefanie Gebers „ganz allein in dieser Situation fühlen“. Geschätzt ein Drittel aller Schwangerschaften endet als Fehlgeburt – in den ersten Wochen oft unbemerkt oder mit Blutungen. Nur ein Teil wird in Praxen oder Kliniken erfasst: Laut Daten aus der ambulanten und stationären Versorgung hatten in Deutschland 2021 fast 40.000 Schwangerschaften einen abortiven Ausgang. 2022 betraf die perinatale Sterblichkeit zeitnah vor, während und in den 7 Tagen nach der Geburt 4.577 Babys, 3.247 davon wurden tot geboren.

Die meisten Mütter bekommen in der Klinik gesunde Babys, andere aber Sternenkinder - eine extreme emotionale Belastung.

Leider kein lebensfähiges Kind

Dass sich die Hoffnung nicht erfüllt, ein lebensfähiges Kind zu bekommen, kann viele Gründe haben – von Gendefekten über Herzfehler, Infektionen und Mangelversorgung bis hin zu Nabelschnurkomplikationen. „Manche Eltern brauchen Gewissheit und lassen ihr Kind obduzieren“, so Stefanie Gebers. „Aber das bringt es ihnen natürlich nicht zurück.“ Trauerarbeit müssten sie genauso leisten wie Mütter und Väter, die die Frage nach dem Warum nicht klären und sich nicht selten mit Schuldgefühlen plagen – ein in jedem Fall genauso belastender wie sehr individueller Prozess. Wenn irgendwie möglich, empfiehlt Stefanie Gebers, einen versierten Fotografen um schöne Erinnerungsbilder zu bitten. Über 600 Fotografen der Stiftung „Dein Sternenkind“ bieten an, diese nach der Geburt zu machen.

Gemeinsame Beisetzung als Option

Nachdem Tod eines nicht lebensfähigen Kindes fragen sich die Eltern oft: Was passiert jetzt mit meinem winzigen Baby? Was können und müssen wir jetzt tun? Was für eine Beerdigung wollen wir? Wenn das Frühchen unter 500 Gramm wiegt und die 24. Schwangerschaftswoche noch nicht erreicht wurde, gilt es rechtlich als Fehlgeburt. Wegen seiner geringen Größe muss es nach dem Bestattungsgesetz nicht beerdigt werden, doch das steht den Eltern frei. Auch ob das Baby beim Standesamt eingetragen werden soll, bestimmen die Eltern. Bei solchen Frühgeburten bieten viele Krankenhäuser aber auch eine gemeinsame Bestattung mit anderen Sternenkindern an. Je nach Stadt und Region wird diese von Vereinen für Sternenkinder-Eltern oder Kirchen organisiert. Für Sternenkinder, die mit einem Gewicht von über 500 Gramm zur Welt kommen, besteht in Deutschland eine Bestattungspflicht. Die Sternenkinder werden in Urnen in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt. Die Eltern haben jedoch auch die Möglichkeit, das Sternenkind in einem eigenen Grab oder im Familiengrab bestatten zu lassen.

Sind Babys nicht lebensfähig, bleibt ihr Bettchen zu Hause leer. Die Trauer beginnt und mit ihr auch nicht selten eine psychische Erkrankung.

Rechte auch bei Fehlgeburten

Doch von diesem Angebot erfahren nicht alle Eltern – genauso wenig von dem seit 2013 geltenden Recht, bereits Fehlgeburten beim Standesamt anzuzeigen und damit auch solchen Sternenkindern offiziell eine Existenz geben zu lassen. Mütter wissen nicht immer, dass sie Anspruch auf eine Hebamme, Rückbildungskurse, Kündigungsschutz haben. Seit Mitte Juli 2022 liegt dem Bundestag eine Petition vor, Mutterschutz ebenfalls nach Fehlgeburten einzuführen. In all diesen Belangen kennen sich Sternenkinder-Selbsthilfegruppen aus oder können an andere, kompetente Anlaufstellen verweisen.

Totgeburt – Schock, Trauer und Leere

Eine sehr emotionale und einfühlsame Reportage über eine Mutter, deren Tochter tot zur Welt kam - ihre Gefühle in der Klinik und auch danach.

Hilfsangebote für Trauernde

„Versuchen Sie, sich helfen zu lassen und Ihr Leid zu teilen“, rät Stefanie Gebers Eltern von Sternenkindern. Besonders wichtig sei das beim Trauerprozess. „Ihm sollte man Raum geben, statt ihn zu unterdrücken.“ Das A und O sei, offen und ehrlich mit dem Partner zu kommunizieren; dadurch sind Stefanie Gebers und ihr Mann nach dem Verlust von Ben „noch enger zusammengerückt“. Auch Trauergruppen und -begleiter erleichtern es Eltern, Geschwistern und anderen Angehörigen, über das Tabuthema Fehl- oder Totgeburt zu sprechen und gemeinsam den schweren Weg zu gehen. Außerdem helfen Rituale beim Abschied von Sternenkindern – und auch dabei, ihnen einen Platz zu geben.

Gemeinsam gegen den Schmerz

Manche Familien pflanzen einen Baum für ihr Sternenkind oder widmen ihm zu Hause einen eigenen Ort mit Erinnerungsstücken wie Fuß- und Handabdrücken, Fotos oder selbst gebastelten Kerzen. „Bens ältere Schwester Hannah besteht darauf, an seinem Geburtstag gemeinsam das Urnengrab zu besuchen“, erzählt Stefanie Gebers. Sie selbst bräuchte keinen solchen Ort, um sich an Ben zu erinnern. Stattdessen investiert sie aus der eigenen Betroffenheit heraus unter dem Motto „Gemeinsam gegen den Schmerz“ viel Zeit und Kraft in ihren Verein. „Dort habe ich tolle Menschen kennengelernt, die mich sehr bereichern. Für dieses Geschenk bin ich meinem Sohn unendlich dankbar.“

Lektüretipps

Bücher und Internetseiten, die Eltern von Sternenkindern informieren und sie durch ihren Trauerprozess begleiten:

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„Nur zu Besuch“ von Marga Bielesch (Humboldt)

Ratgeber für Eltern, die den frühen Verlust eines Kindes bewältigen müssen; als Paartherapeutin gibt die Autorin Tipps, wie Eltern miteinander in Verbindung bleiben und andere Arten des Trauerns verstehen können.

„Trauern um ein Sternenkind“ von Petra Sutor (Patmos Verlag)

Begleitbuch mit Informationen und Übungen zu Stabilisierung und Selbstfürsorge, damit Sternenkindeltern den Schmerz aushalten und den Verlust in ihr Leben integrieren können.

sternenelternachim.de

Homepage von Sterneneltern Achim e.V. mit einem Angebot an Selbsthilfegruppen, Gruppentreffen, Begleitung und Schulungen, Links führen zum bundesweiten Netzwerk des Vereins, der 2022 auch einen Sternenkinder­-Kongress abgehalten hat.

bvksg.eu

Internetseite des Bundesverbands Kindstod in Schwangerschaft und nach Geburt, die über Beratungsangebote sowie Rechtliches informiert. Eltern können über ein Formular Kontakt aufnehmen und sich mit anderen vernetzen lassen.

veid.de

Hilfs- und Unterstützungsangebote des Bundesverbands Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V. Auf der Seite finden sich auch Buchempfehlungen, Tipps für kreative Trauerarbeit, Adressen von Regionalstellen und Landesverbänden.

bmfsfj.de

Hintergrundinformationen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend über die seit 2013 geltende gesetzliche Regelung, die Geburt von Sternenkinder beim Standesamt dauerhaft dokumentieren zu lassen.

herzenssache-nfsuf.de

Angebot des Vereins Nähen für Frühchen und Sternchen, der für Sternenkinder bundesweit in Nähtreffs Einschlagsets, Decken und Erinnerungsstücke handarbeitet. Diese werden kostenlos an Kliniken abgegeben.

dein-sternenkind.eu

2013 gegründete Stiftung, für die mittlerweile 700 Fotografen im gesamten Bundesgebiet nach Geburten kostenlos Erinnerungsbilder von Sternenkindern machen. Eltern können außerdem selbst gemachte Fotos bearbeiten lassen.

Zur Autorin: Antoinette Schmelter-Kaiser kennt in ihrem Familien- und Freundeskreis mehrere Frauen, die Sternenkinder bekommen haben. Auch nach Jahren sind deren Erinnerungen an die schmerzliche Erfahrung nicht verblasst. Alle sind aber davor oder danach Mutter geworden.

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