Auf der Palme herrscht kein Flow
Wer in diesen Tagen auf der Suche nach Gelassenheit ist, sollte sich eine Schneeflocke zum Vorbild nehmen. Denn die bringt nix auf die Palme!
Text: Lara Buck
Vorm Fenster schweben ein paar dicke Flocken gemächlich vom Himmel. Drinnen springe ich zwischen Plätzchenteig, Hausaufgabenhilfe, Ofen und Telefon hin und her. Während ich am Hörer die Fahrgemeinschaft zum Elternabend klarmache und meinem Kollegen die Details zum laufenden Projekt übermittle, schaue ich neidvoll nach draußen: Diese Flocken! Dieses Ich-hab-alle-Zeit-der-Welt-Geschwebe! Wollen die mich provozieren? Lächeln die mich aus?
Was denkt die Flocke wohl von mir?
Eine setzt sich direkt vor meiner Nase draußen auf den Fensterrahmen. Ich stelle mir vor, wie sie zu mir hereinschaut: „Diese Menschen!“, wird sie sich denken. „Wirbeln so viel herum, obwohl gar kein Sturm ist.“ Ich schaue die Flocke an und beneide sie. Natürlich denkt sie gar nix. Sie weiß nicht mal, dass sie existiert. Dass sie früher oder später zu Wasser schmelzen, auf den Boden tropfen und dort versickern oder verdunsten wird. Es ist ihr egal, welchen Aggregatzustand sie hat. Sie kann sich in einer Wolke zur Schneeflocke, zum Tropfen oder zum Hagelkorn verwandeln. Lebt mal in der Luft, mal im Wasser oder zeitweise auf meinem Fensterrahmen. Sie ist mal warm, mal kalt. Und es ist ihr einerlei – sie IST einfach! Ohne Wertung. Ohne Bewusstsein. Bei mir ist das ja gar nicht so anders: Nur würde ich es eher bewusstlos nennen!
Die Nummer mit der Palme ist nichts als eine sinnlose Showeinlage – so viel habe ich mittlerweile auch kapiert!
Ich funktioniere, ohne lange drüber nachzudenken. Muss ja alles irgendwie erledigt werden. Alltag ist Stress. Stress ist Alltag. Das ist MEIN Aggregatzustand! Meistens. Es gibt auch noch den auf der Palme – von wo ich gelegentlich herunterkreische wie ein wild gewordenes Äffchen. Aber meistens kommt unten gar nichts von dem an, was mich da oben umtreibt. Also muss ich erst mühsam wieder herunterkommen: Bodenkontakt. Die Palmennummer ist also nichts als eine sinnlose Showeinlage, so viel habe ich mittlerweile auch kapiert. Diese Schneeflocke da draußen hat selbstverständlich noch nie etwas auf die Palme gebracht. Wie auch? Andere Temperaturzone. Schneeflocken wissen, wie man einen kühlen Kopf bewahrt. Palmen und ich sind Hitzköpfe. Aber manchmal ... ja, manchmal kann auch ich mich so weit herunterkühlen, dass es mir gelingt, den Flocken-Flow zu spüren: befreit, schwebend, lächelnd. Dann ist das Leben leicht und sogar ein Wochenende mit Steuererklärung verliert an Gewicht. „Das geht vorüüüüüber ...“, mantrae ich vor mich hin – und trinke erst mal einen Kaffee. So lange, bis die Anspannung dahinschmilzt wie eine Schneeflocke in der Sonne!
Stand: Dezember 2018
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