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Gelassenheit als Trend

Neue Ratgeber und Trends drehen sich rund um mehr Gelassenheit und Selbstbestimmung. Runterkommen zu mehr Lebensqualität – geht das so einfach?

Autor: Barbara Lang

Warum Sie diesen Artikel lesen sollten:

Weil Gelassenheit in unseren Köpfen beginnt. Wer das Denken auch mal sein lassen kann, macht sich automatisch locker.

„Der frühe Vogel kann mich mal!“ Mit trotziger Gelassenheit erinnert dieses Statement auf Heckscheiben, Küchenmagneten oder Bettbezügen daran, sich mal wieder etwas locker zu machen. Selbstbewusst konterkariert es das altbekannte deutsche Sprichwort, demzufolge nur der Erfolg hat – sprich: den Wurm fängt –, der früh aufsteht, pünktlich und fleißig ist. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass der widerspenstige Spruch gerade in Zeiten so beliebt geworden ist, in denen Leistungsbereitschaft, Zielstrebigkeit und Selbstoptimierung à la früher Vogel zu DEN Prämissen des gesellschaftlichen Lebens gehören.

Mehr Gelassenheit bitte

In ähnlicher sprachlicher Flapsigkeit zielen erfolgreiche Ratgeber oder auch Ratgeberparodien in Richtung Ungehorsam. Mit Titeln wie „Einen Scheiß muss ich“ oder „Am Arsch vorbei geht auch ein Weg“ bringen Buchautoren ihre Leser humorvoll dazu, über ihre Lebensart nachzudenken. Müssen wir wirklich dauernd so viel müssen? Mehr Sport machen und rausgehen, wenn die Sonne scheint? Zu jeder WhatsApp-Gruppe und Einladung Ja sagen? Immer erreichbar sein und allen Ansprüchen gerecht werden? Es scheint, viele Menschen sehnen sich allmählich nach stressfreieren und authentischeren Lebensinhalten.

Natürlich, gesund, frei – die Sehnsüchte unserer Leistungsgesellschaft werden wieder simpler.

Jetzt entspannen wir uns mal alle

Nach Jahren des Größer-Schneller-Weiter hat eine Trendwende eingesetzt: Begonnen mit der Entdeckung der Langsamkeit und fortgeführt von der Schule der Achtsamkeit, abgeschreckt von Burn-out und Dauererschöpfung, blicken viele Menschen mit einem neuen Bewusstsein auf ihr Arbeits- und Privatleben. Eine große Sehnsucht nach mehr Selbstbestimmtheit, Einfachheit, Echtheit, Naturverbundenheit und Entschleunigung macht sich breit und breiter. Sie spiegelt sich im Boom von skandinavischer Lebenshaltung, Yoga, Entspannungsmagazinen, Ausmalbüchern, Handlettering, Slow-Food-Trends und im steigenden Digital-Detox-Verhalten.

„Bei den meisten Menschen ist die Ruhe nichts als Erstarrung und die Bewegung nichts als Raserei.“

Epikur, griechischer Philosoph

In unserer komplexen Welt sehen sich immer mehr Menschen mit der Frage konfrontiert: Habe ich die Dinge eigentlich im Griff – oder sie mich? Tag für Tag stehen wir vor einer Fülle von Informationen, Anforderungen, Idealen und Möglichkeiten. Ständig werden uns Entscheidungen abverlangt und es gibt fast immer weitere Optionen – ob beim Einkaufen, bei der Jobsuche oder der Partnerwahl. Es erfordert Kompetenz, sich da nicht zu sehr irritieren zu lassen. Denn wann ist der richtige Zeitpunkt, sich festzulegen und bei der Sache zu bleiben? Würde es nicht vielleicht eine noch perfektere Alternative geben? Oder könnte ich selbst noch optimaler werden? Fazit ist eine ständige Unzufriedenheit, Zerrissenheit und ein unaufhörliches Angetriebensein. Um dieser Stressfalle zu entgehen, empfehlen Psychologen einfache Auswahl- und Abgrenzungsregeln sowie die gelassene Erkenntnis: Gut genug ist auch okay!

Achten Sie auf Ihre Gedanken und wie Sie Stress bewerten: Steckt darin mehr Druck als in der Situation selbst?

Nur nicht stressen lassen

Hinter so einer Gut-genug-Strategie – Psychologen nennen sie „Satisficing“ – versteckt sich eine große Freiheit. Und ein eigentlich simpler Trick, den auch die Psychotherapie neu entdeckt hat: die Macht der Gedanken. Häufig wird unser Druck nämlich nicht von den Umständen selbst produziert, sondern von unserem Blick auf sie. Je nachdem, wie wir über Dinge denken, wie wir sie einordnen, ob wir sie überhaupt bewerten, machen wir sie oft mächtiger, als sie eventuell sind. Auch unsere Wahrnehmung von Stress, unser Gefühl dabei, beeinflusst unser Unwohlsein mehr als das eigentliche Maß des Stresses. Und manchmal müssen wir uns sogar eingestehen, dass unser kollektives Gestresstsein fast schon zum guten Ton gehört, uns vermeintlich wichtig fühlen lässt.

Der Weg zur inneren Ruhe

Wie können wir also innere Ruhe und Gelassenheit lernen, ohne dass auch dies schon wieder zum Muss wird? Der französische Meditationslehrer und Philosoph Fabrice Midal ist nicht der Einzige, der vom Annehmen statt Bewerten überzeugt ist: „Ich nehme die Gedanken, wie sie kommen. Ich analysiere sie nicht, erkläre ihnen nicht den Krieg und versuche nicht, sie zu vertreiben“, schreibt Midal. Er hält nur wenig von Techniken und Meditation, die einen Zweck erfüllen soll: „Wenn ich mir die Anweisung gebe, mich zu entspannen, ist dies das sicherste Mittel, mich noch mehr zu verkrampfen ... Meditation ist Lebenskunst. Die Kunst, sich in Frieden zu lassen.“ Deshalb heißt sein Buch auch: „Die innere Ruhe kann mich mal.“ Wer das sagen kann, hat sie vermutlich schon!

Stand: Dezember 2018

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