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Familie

Depressionen bei Kindern

Haben Kinder und Jugendliche Depressionen, sind Eltern oft hilflos und stehen vor einem Rätsel. Manche verschließen in der problematischen Situation zunächst die Augen vor möglichen Depressionen bei Kindern.

Text: Antoinette Schmelter-Kaiser

Warum Sie diesen Artikel lesen sollten:

Depressionen im Kindes- und Jugendalter sind keine Seltenheit. Für Eltern ist es wichtig, ernsthafte psychische Probleme zu erkennen und gegenzusteuern.

Pubertät und die erste große Liebe: Diese Kombination kann ein Grund für starke Stimmungsschwankungen sein. Dass ihre 15-jährige Tochter mal himmelhochjauchzend, mal zu Tode betrübt war, fand Laura Bauer deshalb nicht bedenklich. Aber als Anna ihr auf einer längeren Autofahrt erzählte, dass sie vor lauter Grübeln seit Wochen schwer einschlafen könne, beim Abschied von ihrem Freund immer Heulkrämpfe bekomme, sich in ihrer Klasse ausgeschlossen fühle, schrillten die Alarmglocken. An Depressionen bei Kindern dachte sie jedoch nicht sofort.

Außerdem reagierte Anna weder auf Trost noch Tipps, sondern schien in einer Negativspirale gefangen. Das Gespräch mit einem Jugendpsychiater brachte einige Tage später Klarheit: Anna hatte eine Depression und kam nicht allein aus ihrer Krise heraus.

Psychische Belastungen im Kindes- und Jugendalter

So wie Anna geht es vielen anderen: 27 % der befragten 14- bis 29-Jährigen gaben bei der Trendstudie „Jugend in Deutschland – Sommer 2022“ an, als psychische Belastungen Depressionen und Niedergeschlagenheit zu erleben. Das Gefühl der Hilflosigkeit kennen 13 %, Suizidgedanken haben 7 %.

Aktueller Anlass für Sorgen und Verunsicherung sind Einschränkungen durch die Corona-Pandemie, Angst vor einem Krieg in Europa und der Klimawandel. Aber auch abgesehen von der derzeit besonders angespannten Lage gehen Fachkreise davon aus, dass mehr als 5 % aller Kinder und Jugendlichen heute von einer schweren Depression betroffen sind, etwa 10 % weisen „deutliche depressive Symptome auf“, so Christiane Nevermann und Hannelore Reicher in ihrem Buch „Depressionen im Kindes- und Jugendalter“.

Fragen auch nach Selbstverletzungen

„Bei Eltern löst die Erkenntnis, dass ihr Kind diese schwere Erkrankung haben könnte, Angst, Unsicherheit und manchmal Hilflosigkeit aus“, erklärt Dr. med. Gudrun Rogler-Franken, die Regionalvorsitzende des Berufsverbands für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Bayern ist.

„Wenn Sie sich Sorgen um Ihr Kind machen, sollten Sie sich professionelle Hilfe holen. Um die Schwere der Erkrankung und den Behandlungsbedarf einschätzen zu können, werden bei einer fachlichen Diagnostik viele Fragen gestellt.“ Diese reichen bis hin zu denen nach Selbstverletzungen oder Suizidgedanken – Themen, die Eltern sehr belasten und von ihnen nur mit Mühe angesprochen werden können. Anhand bestimmter Kriterien werden die Antworten und Befunde in der Internationalen statistischen Klassifikation (ICD-10) der Gruppe der psychischer Störungen eingeordnet.

Nachfragen ist wichtig, um Grad und Behandlungsbedarf einer Depression einschätzen zu können.

Interessenverlust, Reizbarkeit, Schuldgefühle

Depressionen haben viele Erscheinungsformen, die sich je nach Alter unterscheiden. Auslöser können Krisen nach einschneidenden Lebensereignissen wie schweren Erkrankungen oder der Trennung der Eltern sein, aber auch schulische Schwierigkeiten, Probleme mit Gleichaltrigen oder andere Ausnahmesituationen.

Oft spielen genetische Vorbelastungen eine Rolle. Bei Klein-, Kindergarten- und Grundschulkindern, bei denen Depressionen eher selten vorkommen, können Anzeichen sein, dass sie traurig aussehen, nicht lachen, nicht spielen oder keine Freunde treffen wollen, mehr oder weniger schlafen und essen als sonst, oft körperliche Beschwerden haben.

Ältere Kinder und Jugendliche zeigen Verhaltensweisen wie Reizbarkeit, Rückzug, Antriebslosigkeit, Interessenverlust oder geringes Selbstwertgefühl. Sie können Nöte aber auch verbal ausdrücken und erzählen, dass sie hoffnungs- und lustlos sind und Schuldgefühle haben. Nehmen Eltern solche Veränderungen über mehrere Wochen hinweg wahr, sollten sie aktiv werden.

Der richtige Ansprechpartner

„Im ersten Schritt ist Validieren wichtig, d. h. dem Kind mit Anteilnahme zu signalisieren, dass man es ernst nimmt und spürt, dass es ihm schlecht geht“, rät Dr. med. Gudrun Rogler-Franken. Als weitere Ansprechpartner könnten den Eltern zunächst Kinderärzte und dann Kinder- und Jugendpsychiater bei der Diagnose und Behandlung von Depressionen zur Seite stehen.

„Viele Kinder und Jugendliche empfinden es als Entlastung, einen Termin zu bekommen und den Eindruck zu haben, dass ihnen jemand mit Fachwissen hilft“, erklärt Dr. med. Gudrun Rogler-Franken. Je nach Art und Grad der Depression werde eine ambulante Psychotherapie veranlasst; bei schweren Depressionen bei Jugendlichen könne eine medikamentöse Behandlung helfen. Bei sehr schweren Fällen sei eine Behandlung in (Tages-)Kliniken nötig.

Depressive Kinder brauchen die Anteilnahme von Eltern und professionellen Ansprechpartnern.

Zunahme der Angstzustände

Ohne eine Behandlung ist laut Gudrun Rogler-Franken das Risiko einer Verschlimmerung der Erkrankung sehr groß. Doch was tun in Zeiten, in denen laut WHO Depressionen und Angstzustände durch die Folgen der Corona-Pandemie um mehr als 25 % zugenommen haben und es lange Wartezeiten für Psychotherapien gibt? „Eltern sollten sich auf jeden Fall Unterstützung holen. Erste Ansprechpartner können auch Schulpsychologen oder Mitarbeiter in Beratungsstellen sein, Kinder- und Jugendpsychiater haben für dringende Fälle offene Sprechstunden und Notfalltermine“, sagt Dr. med. Gudrun Rogler-Franken. „Zusätzlich ist es hilfreich, wenn sich Eltern Zeit nehmen und für ihr Kind da sind. Gemeinsame Mahlzeiten bieten Begegnungsräume – genauso wie Sport und andere Hobbys in einem Verein anstatt Medienkonsum ohne echte Kontakte.“

Auch ein Haustier könne depressiven Kindern Freude machen. Anna fand das Kuscheln mit ihrer Katze tröstend. Beim Tanzen und in der Natur gelang es ihr, traurige Gedanken zu vergessen. Stärkend für sie war auch eine Verhaltenstherapie, die sie durch die Pubertät begleitete. Seit deren Ende sind ihre Depressionen verschwunden, auch das ist zum Glück kein seltener Fall.

Video

In der 30-minütigen Dokumentation des WDR geht es um die Frage, warum Kinder in psychische Schieflagen geraten und wie sich ihre psychische Gesundheit stärken lässt.

Lektüretipps

Bücher, Internetseiten und Anlaufstellen, die über Depressionen informieren, Betroffenen Mut machen und sie dabei unterstützen, effektive Lösungen zu finden:

DOWNLOAD

 
„Depressionen im Kindes- und Jugendalter“

von Christiane Nevermann und Hannelore Reicher (C. H. Beck): 3. aktualisierte Auflage eines ausführlichen Sachbuchs über depressive Störungen und die Möglichkeiten, sie zu erkennen, zu verstehen und zu helfen.

„Ratgeber Traurigkeit, Rückzug, Depression“

von Gunter Groen, Wolfgang Ihle, Maria E. Ahle, Franz Petermann (Hogrefe): Infos darüber, wie sich Depressionen im Kindes- und Jugendalter äußern und welche Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten es gibt.

„Wieder besser drauf!“

von Dr. Gunter Groen und Dr. Dorothe Verbeek (BALANCE): Ratgeber für junge Menschen zum Umgang mit Stimmungstiefs und Depressionen, der Sachinformationen mit authentischen Erfahrungsberichten kombiniert.

„Nicht okay ist auch okay“

von Dr. Tina Rae (Loewe): kindgerechtes Sachbuch über mentale Gesundheit und psychische Probleme wie Ängste, das Lesern ab neun Jahren mit Tipps und Übungen helfen soll, sich selbst besser zu verstehen und auf sich achtzugeben.

ich-bin-alles.de

Informationsportal rund um das Thema Depression und psychische Gesundheit, das in zwei separaten, ansprechenden Bereichen Jugendliche und Eltern umfassend aufklärt. Basis sind fundierte Recherchen, wissenschaftliche Studien und Erkenntnisse

depressionsliga.de

Internetseite einer bundesweit aktiven Patientenvertretung für Menschen, die an Depression erkrankt sind. Praktisch sind Erfahrungsberichte und Broschüren zum Downloaden sowie eine umfangreiche Wissensdatenbank von „Abendtief“ bis „innere Widerstandskraft“.

nummergegenkummer.de

Bundesweite Anlaufstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern. Kompetente Ansprechpartner haben bei kleinen und großen Sorgen, Problemen oder Ängsten anonym und kostenlos ein offenes Ohr – entweder telefonisch oder als Online-Beratung per Mail und Chat.

frnd.de

Aufbauende Internetseite des Vereins Freunde fürs Leben mit Infomaterial und Hilfsangeboten für den Fall, dass sich Depressionen in Richtung Suizidgedanken zuspitzen sollten. Ziel ist, über Tabuthemen aufzuklären und zu sensibilisieren.

Zur Autorin: Antoinette Schmelter-Kaiser fand bei der Lektüre ihrer Teenie-Tagebücher heraus, dass sie zwischen 14 und 16 erstaunlich düstere Gedanken hatte. Von ähnlichen Erfahrungen haben ihr befreundete Eltern pubertierender Jugendlicher berichtet, die sich vorübergehend um deren Seelenheil sorgten – langfristig zum Glück ohne Grund.

Stand: Oktober 2022

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