Die Meditation-Misere
Innere Ruhe, fließender Atem, totale Entspannung – hört sich wunderbar an. Allein die Praxis sieht bei manch einer Anfänger-Meditation anders aus.
Text: Barbara Lang
Kennen Sie die Ashram-Szene mit Julia Roberts in „Eat Pray Love“? Julia im Meditationsraum, ruckelt sich im Lotussitz zurecht und formt die Hände zum Mudra. Ein Blick auf die Uhr. „Okay“, sagt Julias innere Stimme: „Just empty your mind.“ Und schon beginnt ihr Gedankenstrom …
Als sich wiedererkennende Zuschauerin leide ich mit: das Kratzen am Arm (immer juckt es irgendwo), diese Fliege (klar, dass sie ausgerechnet jetzt ums Ohr schwirrt) und warum scheint es allen anderen so leicht zu fallen, die Ruhe in sich zu finden? Wieder ein Blick auf die Uhr: erst eine Minute vergangen. „Oh my god, kill me“, seufzt Julias innere Stimme und sie lässt sich vornüber auf den Boden plumpsen.
Brodelnde Ungeduld, statt fließendem Atem
Julia in dieser Szene – das bin quasi ich. Nur, dass ich bei meinen verzweifelten Meditationsversuchen nicht annähernd so schön aussehe. Aber sonst: Mein Hirn ein Perpetuum Mobile, das ständig rattert. Meine Kiefer-, Nacken- und Schulter-Muskeln harte, starrige Stränge voller Knoten und Knubbel. Das aufrechte Sitzen eine Qual. Nach zwei Minuten ein ununterdrückbarer Drang, mich anzulehnen. Lockerbleiben? Gedankenleere? Atemfluss? Fehlanzeige! Stattdessen eine leise heraufbrodelnde Wut.
Wieso kann ich das nicht?
"Kennen Sie das, wenn man den Computer ausschalten muss, weil alles verrückt spielt?“, fragt Ellen DeGeneres: „Und dann, wenn man ihn wieder einschaltet, ist alles wieder gut? Das ist es, was Meditation für mich ist“, erklärt die US-Moderatorin. Beneidenswerte Frau. Ich will das auch! Eine allzeit verfügbare Reset-Taste in mir, die alles neu sortiert.
Aber da ist die Sache mit dem Loslassen. Ich habe diese Messi-Tendenzen: lasse Menschen nicht gern gehen, trenne mich schwer von Dingen mit Geschichte, könnte nach jedem Urlaub heulen, weil er nicht noch unendlich weitergeht und lasse die Stimmung guter Filme noch ewig in mir nachklingen. Womöglich lässt sich damit sogar begründen, dass ich auf Partys immer zu den Letzten gehöre. Oje! Aber was ist daran so falsch? Ich genieße halt intensiv und koste alles so lange aus wie möglich.
„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne … und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.“
Hermann Hesse
Hm … mein Perpetuum Mobile arbeitet … und spuckt einen Gedanken aus: Möglicherweise sind Genießen und Festhalten zweierlei Dinge, Barbara? Oha, es geht ans Eingemachte: Vielleicht sollte die kleine Raupe Nimmersatt in mir sich mal zügeln. Eventuell hat es mit einer Art Erlebnis-Emotions-Denk-Verstopfung zu tun, dass meine Gedanken und mein Atem nicht fließen können?
Mein innerer Staudamm
Ich stelle mir vor, wie sich meine gesammelten Erlebnisse, Gefühle, Ideen mit all den To-Do-Listen und Grübeleien des Alltags zu einem dicken Klumpen verdichten, der irgendwo quer in meiner Brust hängt, wie ein dicker, wasserstauender Ast in einem Bach. Wie wäre es wohl, das krampfhafte Festhalten allmählich aufzulockern und durch Dankbarkeit zu ersetzen? Und das Lassen zu üben. So sehr ich die Raupe Nimmersatt liebe – es wird Zeit für eine Ablösung. Ein rundlicher, grinsender Buddha soll sich breit machen in mir. Gelassen und sich selbst genügend.
Mit diesem Gedanken suche ich erneut Bodenkontakt. Setze mich locker und einfach irgendwie auf ein dickes Kissen (der Lotussitz kann warten) vor das geöffnete Fenster. Ich atme. Anfangs noch etwas ruckartig, dann immer geschmeidiger. Wind weht herein, und Vogelpfeifen. Mit der Zeit nehmen meine Mundwinkel eine schlaffe, bassethafte Hängestellung ein. Ich sabbere leicht, als ich die Augen wieder öffne. Mag sein, dass Julia Roberts das schöner kann – aber ich besser!
Zur Autorin: Nach dem Schreiben dieses Textes fiel Barbara Lang auf, dass sie ihren Lieblings-Hoodie anhatte. Mit der Aufschrift: „inhale. exhale.“ Kann auch beim Tippen nicht schaden, tief ein- und auszuatmen!
Stand: Dezember 2022
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